Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
Vom Netzwerk:
in den Garten. Drinnen brennt immer noch Licht, aber jetzt sind die Vorhänge zugezogen. Auf halbem Weg umfängt mich plötzlich die Dunkelheit, und ich bekomme es vollkommen grundlos mit der Angst zu tun. Ich taste mich an der Wand entlang. Als ich um die Ecke ins Bernabéu einbiege, trifft mich eine Wolke Zigarettenrauch, die jemand im tiefen Schatten der Rückwand des Hauses ausgestoßen hat. Mein Herz überspringt einen Schlag. Aber es ist nur Sean. Und schon ist Angie zurück. Du hast gedacht, es wäre Brian, stimmt ’ s? Ha, ha, träum weiter!
    »Mann, Sean!«, platze ich heraus. »Du hast mich zu Tode erschreckt. Was machst du da?«
    »Wonach sieht’s denn aus?«, sagt er und bläst eine neue Wolke Rauch in meine Richtung. Ich weiß nicht, ob er’s absichtlich tut, jedenfalls macht es mich wütend. Ich muss ihm wehtun, ihn mit irgendetwas treffen, damit er sich genauso mies fühlt wie ich.
    »Klasse Nummer im Gericht«, sage ich. »Genau das, was Mam gebraucht hat. Ihr Macho-Superhelden-Sohn flippt aus und reitet uns noch tiefer in die Scheiße.«
    »Verpiss dich, Eala!«
    »Das könnte dir so passen«, sage ich und merke, wie kindisch trotzig das klingt, aber ich kann jetzt nicht den Mund halten. Dads Worte von dem Abend, als Sean unserem kleinen Bruder eine geknallt hat, fallen mir ein.
    »Nachdem du diesen miesen kleinen Kerl geschlagen hast – fühlst du dich da männlicher?«, frage ich.
    Die Worte haben sich auch bei ihm eingebrannt, das zeigt sich jetzt. Er wirft die Zigarette auf den Boden, dass Funken stieben, die ich heiß an den Beinen spüre. Ich will ihn treten, aber er blockt den Tritt ab, und im nächsten Augenblick habe ich seine Faust vor dem Gesicht und zwinge mich zu lachen, denn so hat man’s uns beigebracht – stimmt’s, Dad? Wir lachen die Dinge einfach weg, die großen Fragen, die großen Probleme, alles. Was sagte der Clown, als er die Bar betrat? Erinnerst du dich, Dad? »Die Witze bitte alle auf meine Kosten!« Ha, ha!
    »Ja? Wie ist es? Fühlst du dich männlicher oder nicht?«
    »Hör auf damit!«, warnt er mich und drückt mir die Faust unters Kinn. »Dieser kleine Wichser rennt da draußen rum und wickelt wieder die Scheißgeschäfte seines Vaters ab, statt im Gefängnis zu sitzen, wo er hingehört.« Seine Stimme bricht, und er wendet sich von mir ab. »Er müsste zu spüren kriegen, wie es ist, eingesperrt zu sein …«
    Er geht wie aufgezogen im Kreis, und seine Augen finden irgendwie genug Licht in dem Dunkel, um zu funkeln.
    »… wie es ist, wenn du zwei Jahre im Bau sitzt und keinen Menschen hast, der dich besucht, keinen einzigen.«
    Ich bin schon halb erfroren, aber der kalte Schauer, der mich jetzt packt, geht tiefer. Was für zwei Jahre? Wovon redet er?
    »Und hinterher, wenn du endlich rauskommst, ist da auch niemand, und alles, was du hast, ist eine Plastiktüte mit ein paar Klamotten, einer Urkunde von einem Gefangenen-Malwettbewerb und ein paar Comics. Und den ersten Job, den du draußen bekommst, verlierst du wieder, als sie herausfinden, dass du gesessen hast und …«
    Ein paar Comics? Das Einzige, was ich noch bewegen kann, sind meine Lippen, und auch das kostet mich Mühe.
    »Sprichst du … sprichst du von Dad? Er war …?«
    »Ich hätte es Mam erzählen sollen«, sagt Sean. »Euch beiden. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte.«
    » Was erzählen?«
    Er lehnt sich gegen die Hauswand und lässt sich daran heruntergleiten, bis er auf den Fersen sitzt. Er reibt sich wie geistesabwesend die Augen, dann schaut er zu mir auf. Ich möchte auch lieber sitzen, aber ich stehe wie angewurzelt.
    »In der Nacht vor dem Unfall hat er mir erzählt, dass er im Gefängnis war«, sagt Sean. »Er war sechzehn. Er kriegte zwei Jahre, weil er einem Typ eine Bierflasche über den Kopf gezogen hat.«
    Ich höre fast das weiße Geräusch, wie der Frost zwischen den Grashalmen des Bernabéu seiner Arbeit nachgeht. Ich stelle mir vor, so lange stehen zu bleiben, bis er auch meine Schuhe überzogen hat.
    »Er hat sich immer rausgeschlichen aus dem Heim, in dem er gelebt hat. In der Gegend gab’s so eine Art Punk-Club, da ist er meistens hin. Und wie’s eben geht, eines Abends trifft er dort ein Mädchen, sie verstehen sich gut, du weißt schon, und als sie ihn fragt, wo er wohnt, beschließt er, dass Angriff die beste Verteidigung ist. Also erzählt er ihr, dass er im Heim lebt, ihr scheint’s nichts auszumachen, also verabreden sie sich für die nächste Woche. –

Weitere Kostenlose Bücher