Jimmy, Jimmy
Sie ist dann nie aufgetaucht, aber ihr Ex mit fünf von seinen Kumpels.«
» Wo ist das alles passiert?« Ich habe tausend Fragen, aber das ist die erste, die ich über die Lippen bringe.
»Im Londoner Norden, genauer hat er’s nicht gesagt. Ich war so unter Schock, dass ich gar nicht weiter nach demClub gefragt hab oder nach den Bands, die da gespielt haben, oder wo genau das Heim war. Ganz schön blöd.«
»Die wollten also was von ihm. Und weiter?«
»Er hat hinter dem Club auf das Mädchen gewartet. Da war so eine lange rote Backsteinmauer, hat er erzählt, an der stand Palais de Dance , das würde er nie vergessen. – ›Nie vergessen‹ hört sich jetzt ganz schön makaber an, was?«, sagt Sean und schüttelt den Kopf. »Jedenfalls, die fünf Typen kommen plötzlich auf ihn zu und singen diesen Punk-Song, ›Borstal Breakout‹ – ›borstal‹, so nennt man Jugendgefäng…«
»Ich weiß, was das ist, Mann!«
Er schaut mich an, als verstünde er nicht, wie ich ihm böse sein kann. Weil du es warst, dem Dad die Geschichte erzählt hat, Idiot! Und ich weiß nicht, was schlimmer ist: der Schmerz, die Geschichte zu hören, oder der, dass er sie Sean erzählt hat und nicht mir.
»Sie haben sich auf ihn gestürzt und wollten ihn fertigmachen, aber er konnte sich befreien. Und plötzlich sieht er die Bierflasche auf dem Boden liegen und hebt sie auf, und als einer der Typen sein Messer zieht, zertrümmert er ihm die Schädeldecke.«
In der Einfahrt scharren Kiesel. Die Ice Queen auf dem Nachhauseweg, nehme ich an. In der Küche wird das Licht angeknipst. Mam geht oben am Fenster vorbei, und ich trete näher an die Mauer, damit sie mich nicht sieht. Sean schaut auch zu ihr hoch.
»Ich hab’s nur für mich behalten, weil Dad mich darum gebeten hat«, sagt er. »Er wollte, dass sie’s von ihm erfährt. Ich dachte, wenn er wieder klar im Kopf ist, wird er’s ihr erzählen.«
»Er hätte von Anfang an ehrlich mit ihr sein sollen«, sage ich. »Sie hätte es verstanden.«
Ich setze mich auf den Sims des großen Souterrainfensters. Durch die Vorhänge dringt kein Licht heraus. Über uns jagen Wolken über den Himmel. Die Welt hält nie an. Egal wie erschöpft du bist, sie zerrt dich immer weiter, und es gibt keine Pause. Auch nicht für die Sünder. Für überhaupt niemanden. Stimmt’s, Dad?
»Er hatte Angst, das ist alles«, sagt Sean. »Als er das erste Mal zu jemandem ehrlich war, gab’s Zoff, und hinterher saß er im Gefängnis. Erinnerst du dich, was Mam damals gemacht hat? Als sie sich getroffen haben? Sie hat sich um Frauen gekümmert, die von ihren Männern geschlagen wurden. Dads Geschichte hätte sie bestimmt mächtig beeindruckt.«
Er hat wahrscheinlich recht, aber in der Geschichte fehlen immer noch jede Menge Puzzleteile.
»Du meinst, er hat seinen Namen geändert, weil er sonst keine Arbeit gefunden hätte?«
»Seinen Namen geändert?«
Offensichtlich hat ihm Mam noch nichts davon erzählt, und das ist mir eine kleine Genugtuung. Jetzt sieht er, wie es ist, wenn man außen vor gelassen wird. Er richtet sich auf. Aber er droht mir nicht, weder mit der Faust noch sonst wie.
»Martin wollte sich um irgendwelchen Versicherungskram kümmern, und es hat sich herausgestellt, dass Dads Geburtsurkunde gefälscht war.«
»Aber wenn wir Mam erzählen …«
»Nein«, sage ich. Ich bin jetzt ganz klar. Ich weiß, was wir zu tun haben. Besser gesagt, was nicht. »Wir erzählen’s ihrnicht. Martin sagt, dass die Versicherung sowieso nicht zahlt, selbst wenn wir herausfinden, wer er wirklich ist. Und vergiss nicht, Dad hat schon Argos und Brian attackiert. Was denkst du, wird der Psychiater sagen, wenn er von Dads Vergangenheit erfährt? Was, außer dass da womöglich was zum Vorschein kommt, das tief in Dad drinsteckt? Und wohin führt das dann? Dass sie ihn in irgendeine Anstalt stecken? Das dürfen wir nicht zulassen.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagt Sean. »Trotzdem fühlt sich’s nicht richtig an.«
Nebenan bellt Argos ein paarmal kurz und trocken. Ich höre seinen metallenen Futternapf übers Pflaster scharren und Mrs Caseys murmelnde Stimme.
» Nichts fühlt sich mehr richtig an«, sage ich zu Sean.
18
»Man sagt, für Männer sei es schwierig, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, und ich schätze, da ist was dran. Was allerdings das Musical betrifft, so müssen wir der traurigen Wahrheit ins Auge sehen, dass hier beide Geschlechter von dem Problem betroffen sind: Die guten
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