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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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zu Hause, und Mam steckte uns in die Badewanne, damit uns der Weihnachtsmann nicht ungewaschen erwischte. Ich weiß noch, dass Sean und ich ganz aus dem Häuschen waren von ihren Geschichten, wie nah der Weihnachtsmann auf seiner Reise zu uns schon war. Und dann kam plötzlich Dad ins Badezimmer, total albern und ganz wackeligauf den Beinen. Er versuchte, Mam, die ihn kein bisschen komisch fand, zum Lachen zu bringen, aber es klappte nicht. Dann erzählte er uns, er hätte einen Schlitten am Himmel gesehen, und versuchte, Mam in den Arm zu nehmen und … Hat sie wirklich gesagt, woran ich mich erinnere? Warum musst du dich jedes Mal ausgerechnet an Heiligabend volllaufen lassen, Jimmy? Hier ist die Erinnerung zu Ende, keine Chance, mehr aus meinem Gedächtnis herauszuholen.
    Aber angenommen, es war so – wie soll man es sich dann erklären? Trank er, um den Schmerz und die Einsamkeit der Heiligabende im Heim und im Gefängnis zu vergessen? Dass Weihnachten die traurigste Zeit für ein Waisenkind überhaupt sein muss, kann man sich ja vorstellen.
    Ich fühle mich nicht mehr wohl und sehe zu, dass ich aus dem Gedränge herauskomme. Brian scheint es gar nicht zu bemerken. Ich spüre Panik in mir aufsteigen und denke: Warum bin ich nicht schnell nach Hause gegangen und hab noch eine von Dads Pillen genommen, bevor ich hierhergekommen bin? Mein Atem stockt, als hätte ich den Kopf unter Wasser. Als ich das Gedränge hinter mir habe, warte ich auf Brian. Er braucht länger, als mir lieb ist. Ich betrachte ein Bild an der Wand über mir. Es zeigt eine Station des Kreuzwegs. Die Jungfrau Maria hält den toten Jesus in ihren Armen. Ich würde am liebsten gehen, als Brian endlich kommt.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragt er, und er sieht mich so aufmerksam an, dass ich mich abwende. Drama Queen , höre ich Angie sagen. Oder nein, es war nicht Angie. Ich sage mir, dass es gar keine Angie gibt.
    »Können wir irgendwohin, wo es ruhig ist?«
    »Es ist Weihnachten, Eala. Heute ist es nirgends ruhig.«
    »Wir könnten es im Bridge Café versuchen.«
    »Sicher«, sagt er. Aber er klingt enttäuscht.
    Wir gehen über die Blackcastle Bridge, als uns eine Frau mit jeder Menge Einkaufstüten entgegenkommt. Wir lassen sie zwischen uns passieren und schließen die Lücke auch nicht wieder, als sie längst vorüber ist. Wir könnten Fremde sein, die zufällig gleich schnell in derselben Richtung unterwegs sind. Er denkt wahrscheinlich, was ich auch denke: Was zum Teufel tue ich hier?
    Das Café heißt schon eine ganze Weile Le Pont , aber man nennt es immer noch Bridge Café. Der neue Name wird einfach nicht angenommen. Es ist klein und trotzdem nicht allzu voll. Wir finden sogar Plätze am Fenster zur Straße. Das Le Pont ist pseudo-französisch eingerichtet, mit rotweiß karierten Tischdecken und Kerzen auf den Tischen. Sie spielen Musik, aber wenigstens keine Weihnachtslieder. Edith Piaf singt gerade »Hymne à l’Amour«. Ich kenne es, weil Mam eine Piaf-CD besitzt, die sie eine Zeit lang dauernd aufgelegt hat. Sie sang immer mit, und Dad rief gespielt verzweifelt: »Wer hat die Katze ins Haus gelassen?« Manchmal jagte sie ihn dann mit dem Geschirrtuch und …
    Lass das, Eala, das Leben von damals ist vorbei – aus, tot und begraben!
    Ich verschränke die Arme aus Angst, meine Hände könnten zittern. Brian bestellt zwei Kaffee. Es sitzen vielleicht ein Dutzend andere Leute hier, hauptsächlich Paare, und alle sind mit sich selbst beschäftigt. Brian nippt an seinem Kaffee, und ich betrachte mein Spiegelbild im Fenster. Kurze dunkle Haare und eine Kapuzenjacke, große, Hilfesuchende Augen und ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Schon wieder Dad. Erst die Katze, jetzt das Regenwetter. Lass mich in Ruhe, Dad!
    »Was ist los, Eala?«, fragt Brian.
    »Ich hätte dir keine SMS schicken sollen«, sage ich. »Du kannst das hier nicht brauchen, und wahrscheinlich machst du dir sowieso nichts aus mir.«
    »Du weißt, dass das nicht wahr ist.«
    »Nein, eigentlich weiß ich es nicht.«
    Er legt eine Hand mit der Handfläche nach oben auf den Tisch wie eine Einladung, und ich nehme sie an. Dann lege ich los, als hätte er mit einer Starterpistole geschossen.
    »Wir waren im Head-Up-Centre, wo Dad ein paarmal in der Woche hingeht. Sie hatten dieses Benefizkonzert, und da war dieser Typ, ich weiß nicht, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, den haben sie vor einer Disco verprügelt, und jetzt geht er am Stock, aber der ist so was von

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