Jimmy, Jimmy
aufwachst, wirst du dich viel besser fühlen, und ich bleib die ganze Zeit bei dir, okay?«
»Was ist passiert? Warum bin ich durchgedreht?«
Ich wurde schon schläfrig und verstand nicht mehr alles,was die junge Ärztin sagte. Sie sprach von Stress, Erschöpfung, Alkohol und Dads Tabletten, aber das wusste ich ja alles schon. Was ich nicht wusste, war, dass Dad Antidepressiva von einem neuen Typ nahm, mit denen nicht zu spaßen war. Die Ärztin vermutete, dass sie es waren, die meine Angst- und Panikattacken verursacht hatten. Ich könne froh sein, dass ich sie nicht länger genommen hätte. Ich war aber kein bisschen froh. Und als Nächstes schlug sie vor, ich solle mir überlegen, was mich alles belastet, und dann mit einem Psychologen drüber reden. Als ob es da viel zu überlegen gäbe. Zum Glück versetzte mich die Spritze in den tiefsten und längsten Schlaf seit Monaten. Ich schlief vierzehn Stunden am Stück.
Und schlafen ist seitdem das Einzige, wofür ich noch zu gebrauchen bin. Schlafen und so tun, als ob ich schliefe. Sobald es unten klingelt, wie jetzt gerade wieder, bin ich überzeugt, dass es Miss Understanding ist. Und schon verkrieche ich mich unter der Decke. Ich möchte nicht, dass jemand in meinen Gedanken herumstochert und alles aufwühlt, worüber ich jetzt noch nicht nachdenken will.
Die Stimmen klingen nur gedämpft von unten herauf. Ich lasse noch ein, zwei Minuten verstreichen und überlege gerade, ob ich die Decke zurückschlagen soll, als ich bemerke, dass schon jemand im Zimmer ist. Ich spitze die Ohren. Verrückt, dass man die Leute an der Art erkennen kann, wie sie atmen. Es ist Mam. Ich warte noch. Sie ist allein.
Sie war heute Morgen schon ein paarmal in meinem Zimmer zugange. Zweimal hat sie mich aufgeweckt, als sie frische Wäsche in die Kommode und in den Kleiderschrank geräumt hat, und jedes Mal hat sie sich auf eine flatterige,überdrehte Art entschuldigt, die für sie überhaupt nicht typisch ist. Ich erkläre es mir so, dass sie sich innerlich auf eine große Entscheidung vorbereitet. Und was soll das anderes sein als die Ansage, dass Dad in das neue Head-Up-Haus ziehen soll, das Martin gespendet hat, wenn die Leute vom Head-Up-Centre erst mal damit fertig sind? Eigentlich sollte ich jetzt meinen Magen spüren, die Stelle, wo es wehtut, wenn Panik in mir aufsteigt, aber ich spüre nichts.
»Ich hab dich doch nicht geweckt?«
»Nein«, sage ich. »Ich war sowieso gerade am Aufwachen.«
Sie hat wieder einen Stapel Kleider in den Händen. Sie muss alle meine Blusen, Pullis und Jeans auf einmal gewaschen haben. Der Geruch, den das Bügeleisen aus frisch gewaschener Wäsche herauskitzelt, hängt in der Luft. Ich nehme ein paar tiefe Atemzüge davon. Sie legt den Stapel auf der Kommode ab und setzt sich neben mich aufs Bett. Ein paar Haarsträhnen fallen ihr ins Gesicht, und sie streicht sie zurück.
»Du siehst schon so viel besser aus«, sagt sie.
»Ich muss euch alle zu Tode erschreckt haben«, sage ich.
Sie fährt mit den Fingern über die Gänseblümchen auf der Bettdecke und weiß nicht, wie oder wo sie anfangen soll. Erst jetzt wird mir bewusst, dass es die Decke von Dads Bett ist. Ich schaue genauer hin und sehe, dass das eine Gänseblümchen, das Dad abgerissen hat, immer noch fehlt. Ich versuche mich zu erinnern, was ich mit dem armen Blümchen gemacht habe, aber es fällt mir nicht ein.
»Erinnerst du dich noch an irgendetwas von der ersten Nacht im Krankenhaus?«, fragt sie. »Was du alles gesagt hast?«
»Was meinst du mit alles ?«
Die Ärztin meint, du hättest es vielleicht vergessen. Sie nennen es ›retrograde Amnesie‹.«
»Was meinst du mit alles , Mam?« Und wenn es etwas ist, das ich lieber nicht hören möchte – ich muss es wissen.
»All das, was du so lange in dir verschlossen hast«, sagt sie. »Ich hätte besser auf dich aufpassen sollen, Eala. Ich war müde. Und ich hab die falschen Signale ausgesandt. Ich … Eala, wir müssen lernen, die Dinge offen auszusprechen. Alles. Egal, wie verrückt es uns manchmal vorkommt.«
»Du meinst die Sache mit dem Baby? Können wir bitte nicht darüber sprechen?«
Mam lehnt sich an mich. Ich kann ihren Atem auf meiner Wange spüren und ihren Herzschlag hören. Ich schließe die Augen. Die wohlige Erschöpfung nach einem langen Schlaf macht mich ruhig. Tief in mir ist eine Stille, die mit nichts vergleichbar ist, was ich kenne. Der wütende Aufruhr in meinem Kopf ist wie ausgelöscht. Etwas hat sich
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