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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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    »Nein«, sagt sie. »Er war acht Jahre alt und glaubte, er wäre schuld an dem, was passiert war. Aber er war es nicht. Der Untersuchungsbericht sagt ganz klar, dass …«
    »Wer war der Mann ?«
    Mam schiebt die Ärmel ihrer Strickjacke hoch. Es ist, als hätte sie einen schwierigen Job zu erledigen und gäbe sich einen Ruck, es endlich anzupacken.
    » Der Mann war sein Vater.«
    Es ist merkwürdig, aber ihre dünnen Arme schockieren mich mehr als das, was sie gerade gesagt hat. Es sind die Arme eines Kleidergröße-Null-Models.
    »Jimmys Eltern waren beide, nun ja, Junkies, nehme ich an. Sie lebten in der dauernden Angst, dass man ihnen Jimmy wegnimmt. Seine Mutter, Cath Wilkins, war als Kind selbst den Eltern weggenommen worden. Sie war sechzehn, als Jimmy auf die Welt kam.«
    »Und sein Vater?«
    »Sein Name war Thierry«, sagt Mam. »Er scheint immer ein wildes Kind gewesen zu sein. Hat früh die Mutter verloren, und als er sechzehn war, hat ihn sein Vater aufgegeben und ist nach Algerien zurückgegangen, wo er herkam.Ein Jahr später hat er Cath getroffen, und als Jimmy kam, sind sie von Stadt zu Stadt, von einer New-Age-Kommune zur nächsten gezogen. Sie haben so oft ihren Namen gewechselt, dass Jimmy, als alles zu Ende war, seinen richtigen Namen gar nicht mehr wusste.«
    Ich setze mich auf und streiche über die Unterseite ihres bleichen Arms. Ihr Handgelenk ist so dünn, dass ich das leise Zucken ihrer Pulsader zu sehen glaube. Dass ihr Puls langsam geht, wirkt auch auf mich beruhigend.
    »Es war ein gemeinsamer Selbstmord«, sagt sie. »Thierry hat alles in einem Brief an die Behörde niedergeschrieben. Sie sahen am Ende ihrer Flucht keine Zukunft für ihr Kind.«
    Ich lehne den Kopf gegen die Wand hinter dem Bett und spüre, wie mir deren Kühle den Nacken hinunterzieht.
    »Sie lebten auf einem Hausboot auf der Themse in Hammersmith. In der Woche vor Weihnachten ist Thierry in eine Apotheke eingebrochen und hat alle Medikamente mitgenommen, die er kriegen konnte. Die Tabletten hat er zerstampft und sie in irgendeinen Saft gemischt. Cath hat ihre Dosis genommen und sich aufs Bett gelegt. Dann hat Thierry seine genommen und Jimmy geweckt. Wir werden nie wissen, wie es genau war, aber es scheint so, als hätte Jimmy den Saft nicht trinken wollen und versucht, zu Cath zu laufen. Dabei muss irgendwie die Öllampe, die sie dort benutzt haben, umgefallen sein, und das Hausboot hat Feuer gefangen.«
    Sie liegt jetzt mit dem Kopf in meinem Schoß, und ich weiß nicht, wie sie da hingekommen ist. Ich fahre ihr mit den Fingern durch die Haare. Sie hat sie schon eine ganze Weile nicht gewaschen, vielleicht seit meinem durchgeknallten Auftritt in Brians Haus nicht mehr. Sie hat dieAugen geschlossen, als könnte sie sich so die Szene, die sie gerade beschrieben hat, besser vorstellen. Ich versuche es auch und sehe die Flammen, das flüssige Gold ihres Widerscheins im Wasser. Dazu das Gesicht eines Kindes, in dessen entsetzten Augen sich Licht und Schatten um die Vormacht streiten.
    »Warum hat er mir nie vertraut?«, fragt sie so abwesend, dass ich weiß, dass es keine Frage an mich ist. »Ich meine, ich verstehe, warum es hart für ihn gewesen wäre, all diese Dinge wieder aufzurühren. Aber es war ja alles nicht seine Schuld. Da gab es nichts, weshalb ich schlechter von ihm hätte denken können als zuvor. Nichts.«
    Sie weiß also nicht von der anderen Sache. Was soll ich jetzt machen? Ihr davon erzählen? Würde sie dann verstehen, warum Dad alles geheim halten wollte? In jedem Fall würde sie es Sean und mir übel nehmen, dass wir die Geschichte so lange für uns behalten hatten, das stand fest. Ihr Kopf wird immer schwerer, aber ich rühre mich nicht. Entweder schläft sie gleich ein, oder sie verkriecht sich für eine Weile in sich selbst, schwer zu sagen, was es ist. So oder so bringe ich es nicht fertig, sie zu stören.
    Georges Dorar. Georges. Im Stillen wiederhole ich den Namen immer wieder – Georges, Georges –, so lange, bis es sich anfühlt, als riefe ich nach dem Jungen, dessen Silhouette sich von den lodernden Flammen abhebt. Als riefe ich ihn zu mir und nähme ihn an der Hand, um ihn wegzuführen vom brennenden Fluss.

32
    »Alan Rice spielt diesen Zuckerpass, wo der Torhüter nicht weiß, soll er rauslaufen oder auf der Linie bleiben, und der Innenverteidiger schreit ihn an …«
    Sean liegt mit den Händen im Nacken quer über dem Fußende meines Bettes und geht das komplette Spiel der

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