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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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können, hätte er mir keine Lügen aufgetischt.«
    »Dein Vater hätte dich nach England geschickt, als es in Frankreich immer schlimmer wurde. Schon vor der Revolution. Dann wärst du in einer Mädchenschule in Bath außer Gefahr gewesen.« Er ließ dies auf sie wirken. Sie hätte die Schule irgendeiner Provinzstadt besucht. So wäre ihr Leben verlaufen. Das war eine Vorstellung, die ihr eigentlich das Blut gefrieren lassen müsste.
    Grey kannte sie. Er war mit ihr ins Bett gegangen, hatte sie festgehalten, als es ihr durch seinen gemeinen Trick schlecht gegangen war, und hatte sie den ganzen weiten Weg von der Küste herauf begleitet. Er wählte seine Worte mit Bedacht.
    »Es hätte mir nicht gefallen, in Bath zur Schule zu gehen. Du bist sehr subtil mit mir, und ich möchte, dass du damit aufhörst. Ich habe die Nase voll von Leuten, die meinen, sie wären schlau. Ich bekomme einen Brechreiz davon.«
    Der Wind spielte mit den Gardinen, fuhr unter die überall am Boden liegenden Fetzen, hob sie an und ließ sie sich wieder legen wie Vögel, die sich zum Schlafen fertig machten. Ein Blatt drehte er sogar ganz um, einen ihrer unzähligen Briefe. Jede Gelegenheit und jeden Kurier hatte sie dafür genutzt, wenn es gerade keinen Spionageauftrag zu erledigen galt. Weil Maman sich Sorgen machte. Sie hatte mit Leib und Seele geglaubt, dass Maman sich um sie sorgte.
    Er sah, worauf sie schaute. »Hast du dich gefragt, warum deine Mutter dich angelogen hat?«
    »Um mich zu ihrer Marionette zu machen, mich zu benutzen. Ihr habt mich noch nicht draußen bei der Arbeit erlebt, Monsieur Spionagechef. Ich bin über die Maßen nützlich.«
    »Du bist kein Kind, Annique, also hör auf, dich so zu benehmen. Sie hätte dir die Wahrheit erzählen und dich dennoch benutzen können. Du hättest getan, worum auch immer sie dich gebeten hätte.«
    »Ich will das nicht hören.«
    Er machte unnachgiebig weiter. »Sie hätte dich nicht anlügen müssen, sondern dir mit acht die Wahrheit sagen können. Dann wäre dein Nutzen sogar noch größer gewesen. Denk mal darüber nach. Warum hat sie dich angelogen?«
    »Ich hasse dich.« Darüber zumindest brauchte sie nicht nachzudenken. Das hätte sie im Schlaf gekonnt.
    »Sie hat dich belogen, damit du nicht lügen musstest. Sie hat dir René Didier und das Haus im Quartier Latin gegeben und es dir ermöglicht, in Françoise Gaudiers Küche kochen zu lernen. Und eine von Vaubans Leuten zu werden. Sie hat dir all diese Jahre geschenkt.«
    Sie schloss die Augen. Grey verlangte nichts von ihr, nicht einmal, dass sie sprach. So konnte sie einfach dastehen, diese Gedanken aufnehmen und überlegen, wie ihr Leben verlaufen wäre, hätte Maman ihr die Wahrheit gesagt.
    Sie hatte Porzellan aus Dresden gesehen, das so meisterhaft bemalt und glasiert war, dass es wie echte Äpfel, Salat oder Kohl aussah und auf den ersten Blick bekömmlich und essbar wirkte, doch kalt wie ein Skelett war, wenn man es berührte. Genauso wäre es ihr ergangen, hätte man sie in einer Doppelrolle aufwachsen lassen.
    »Maman war sehr klug«, flüsterte sie schließlich, »und sehr einsam. Mir war nicht klar, wie einsam.« Sie blickte sich um. »Ich sollte die Papiere aufheben.«
    »Überlass Adrian das Aufräumen. Er würde liebend gerne Drachen für dich erlegen. Komm mit nach unten.«
    »Nein. Nimm mich mit in dein Bett. Ich brauche dich.«

33
    Mitten in der Nacht hatte sie einen Traum.
    Der Gefängnishof war dunkel, voller hin und her hüpfender Laternen und lauter Stimmen. Sie konnte nicht zu Papa. Er befand sich bei den anderen Männern auf dem Karren. Sie packten Papa, stießen ihn herum.
    »Da ist ein kleines Mädchen«, sagte jemand.
    » Dieu . Schafft sie von hier weg.«
    Es war nicht richtig. So sollte Papa nicht aussehen. Wie ein Fisch am Haken zucken. Treten, schaukeln. Sein Gesicht war … hässlich. Nicht wie Papas. Schwarz und hässlich, mit geöffnetem Mund.
    Sie versuchten, sie zu packen. Um sie herum nur Dunkelheit und Steinmauern. Sie lief und lief, den Weg zurück, den sie gekommen war, bis ins Gefängnis. »Maman. Maman. Où es-tu?«
    In den langen Gängen der Zellen hörte sie Schreie. Spitze, hohe Schreie, als ob ein Schwein geschlachtet würde. Überall waren Soldaten mit ihren hohen Lederstiefeln und Gewehren. Sie kämpfte sich hindurch. Mittendrin lag Maman auf dem Boden. Sie war nackt. An ihrem Mund klebte Blut.
    Der Mann hatte seine Hosen heruntergelassen. Unter der Jacke waren seine weißen,

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