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Joanna Bourne

Joanna Bourne

Titel: Joanna Bourne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Geliebte des Meisterspions
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zuzuhören. Damit fangen wir an, merk dir das. Du hörst auf das, was ich sage.«
    Anscheinend musste sie warten, bis das hier erledigt war. Sie rief sich den Verlauf der Blutgefäße in der Brust in Erinnerung. Sie verliefen so … und so. Mit Glück könnte sie sie umgehen.
    Das war ihre große Gabe, dieses ungeheure Gedächtnis. Jede Seite, die sie gelesen hatte, jede Straße, die sie überquert hatte, jedes Gesicht in der Menge – sie alle waren bis ins kleinste Detail abrufbar. Andere Leute vergaßen Dinge. Sie nicht. Deshalb hatte Vauban ihr die Pläne übergeben, als Leblanc in dem kleinen Gasthaus in Brügge aufgetaucht war und mittels Gewalt und Drohungen versucht hatte, sie zu bekommen. Sie hatte sie in ihrem Gedächtnis verstaut und Seite für Seite noch während des Lesens verbrannt. Wegen dieses Gedächtnisses hatte Maman sie schon von Kind auf überallhin mitgenommen. Ihr Kopf war mit den Geheimnissen vieler Länder vollgestopft.
    Glücklicherweise waren dort auch anatomische Karten hinterlegt. Der Oberkörper war bei Weitem nicht die schlimmste Stelle, um getroffen zu werden, falls die Kugel nicht tief saß, was der Fall sein musste, da Adrian noch lebte.
    Grey mühte sich ohne Ende mit seinem ach so wichtigen Gespräch ab. Sie hörte nicht zu, weil es sie nicht betraf und vollkommen stumpfsinnig war. Er sagte: »Das probieren wir jetzt eine Zeit lang, den ersten Teil auf alle Fälle, und sehen dann mal, wie’s läuft. Es geht ganz einfach los. Du atmest langsam ein und aus und hörst zu, was ich sage.«
    »Ist irgendwie albern«, sagte Adrian. »Ich versuch es, aber ich komme mir weiß Gott wie ein Idiot vor.«
    »Du wirst nichts Albernes machen, Hawker. Nur das, was du willst. Du allein bestimmst. Ich bin nur dazu da, um dir bei dem, was du für dich tun willst, zu helfen. Du liegst da und spürst den Atem. So wird’s gemacht. Ein und aus. Erst ein. Dann aus. Du spürst den Atem. Das ist alles, was du spürst.«
    Grey wiederholte sich auf eine ausgesprochen langweilige Art und Weise. Was seine Redegewandtheit betraf, brachte ihm das keine besonders hohe Meinung bei ihr ein. Sie hörte damit auf, sich die Blutgefäße der Brust in Erinnerung zu rufen, saß mit in den Schoß gelegten Händen ruhig da und ließ die Gedanken schweifen.
    »Deine Augen werden vor lauter Sonnenschein ganz müde. Du darfst sie gerne schließen.« Nun, da er ein anderes Thema gefunden hatte, sprach Grey in derselben lähmenden Monotonie weiter und weiter.
    Das Nächste, woran sie sich erinnern konnte, war, dass sie geschüttelt wurde. Grey.
    »Ja. Ihr. Wacht auf, Annique. So ist’s gut. Ganz wach. Ihr fühlt Euch gut, Annique, und Ihr seid ganz wach.«
    Sie war wohl im Sitzen eingeschlafen.
    »Natürlich bin ich wach.« Ihre Beine waren taub. »Ich habe mich nur ein bisschen während Eures endlosen Geplappers ausgeruht.« Sie bemühte sich nicht, auf Sarkasmus zu verzichten. »Meine Nacht war anstrengend.«
    »Ihr seid das, was man eine ausgezeichnete Probandin nennen würde.« Wovon redete er eigentlich? »Adrian dagegen ist es nicht. Ich habe es ein paarmal in Wien beobachtet, aber nie selbst versucht. Es gibt da einen Mann, der das bei Operationen anwendet. Hoffentlich funktioniert es.«
    »Habt Ihr endlich genug auf ihn eingeredet?«
    »Ich werde noch weitersprechen. Ihr ignoriert einfach, was ich sage, und macht Euch an die Arbeit. Ignoriert mich unbedingt, damit Ihr mir nicht noch einmal einnickt.«
    »Dann haltet ihn fest.«
    Sie zeigte ihnen, wie sie ihn zu Boden pressen sollten. Doyle hielt ihn an Arm und Schulter fest. Grey übernahm die andere Seite, stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf Adrian und redete ohne Unterlass auf ihn ein – irgendetwas über den Schmerz, der sich weit weg auf der anderen Seite einer Mauer befand. Was für ein absonderliches Zeug. Besser, sie ignorierte ihn einfach.
    »Er darf sich nicht bewegen.« Dann vertraute sie darauf, dass sie ihren Teil der Aufgabe erledigten, und dachte nicht wieder daran. Es galt, viele Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Vor allem durfte sie nicht an Adrian denken. Unter ihren Händen befanden sich Muskeln, Knochen und Haut. Nicht Adrian.
    Sie brauchte eine Minute für eine äußerliche Untersuchung der Stelle, an der sie die Hautoberfläche abtastete. Gut. Das war die Kugel. Diese Beule. Welch unglaubliches Glück. Sie steckte nicht tief in der Brust, sondern direkt unter dem Schlüsselbein, an der zweiten Rippe, genau am Knochen. Der

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