Joanna Bourne
legte übergangslos einen neuen auf.
Adrian stöhnte auf und versuchte, sich wegzurollen. Grey, der wohl meinte, alle müssten nach seiner Pfeife tanzen, forderte ihn auf, stillzuliegen, und erzählte ihm, wie er zu atmen hatte. Erzählte ihm immer und immer wieder, wie er zu atmen hatte. Höchst eigenartig.
»Machen wir die Wunde zu?«, fragte Doyle. »Ich hab ein Eisen heiß gemacht. Ich kann’s machen.«
»Keine Hitze. Die Blutung wird gleich aufhören.« Sie wischte sich die klebrigen Handflächen an ihrem Rock ab. Adrians Blut. »Wir lassen es so lange fließen, bis es aufhört. Wie es der berühmte Ambroise Paré gelehrt hat. Auf diese Weise kommt es nicht so häufig … zu Entzündungen. Keine Stiche, es sei denn, es will einfach nicht aufhören zu bluten. Morgen dann ein oder zwei kleine, um die Ränder zusammenzuhalten.«
»Warum lehnt Ihr Euch nicht bei Grey an? Er hat grad nichts zu tun«, schlug Doyle vor.
»Mir geht’s gut.« Sie wollte sich gerade die Haare aus dem Gesicht streichen, als ihr einfiel, was an ihren Händen klebte, und sie hörte auf. Sie nahm ein paar tiefe, wohltuende Atemzüge. »Wir Franzosen verstehen etwas davon. Paré hat uns gelehrt, solche Wunden offen zu lassen, damit sie von innen heraus heilen … «
Grey ließ plötzlich von seiner endlosen einseitigen Unterhaltung mit Adrian ab, erhob sich und lief umher. Als er zurückkam, drückte er ihr ein kaltes Tuch an die Stirn.
»Passt auf, dass ich Euch nicht berühre.« Doch dann lehnte sie sich mit der Wange an seinen Oberschenkel mit einer Vertrautheit, die ihr in diesem Moment durchweg natürlich erschien. Der Boden unter ihr wollte nicht aufhören zu schwanken. »Ich bin noch voller Blut. Mein Kleid ist wohl ruiniert, auch wenn es nicht besonders schicklich war. Aber ich habe nicht viele zur Auswahl, da muss man gut haushalten.«
Er nahm das Tuch, um ihr die Wangen abzuwaschen, dann faltete er es und legte es ihr in den Nacken.
»Ihr wollt wohl nicht, dass ich ohnmächtig werde. Ich werde niemals ohnmächtig.«
»Das ist gut. Um Euer Kleid tut es mir leid.« Er entschuldigte sich für mehrere Dinge auf einmal. Sie war sich sicher, dass die Kleider, die er ihr gegeben hatte, unangemessen waren. »Danke, dass Ihr Adrian das Leben gerettet habt.«
»War nicht so schlimm. Einmal habe ich einen Mann um zweiundfünfzig Metallstückchen erleichtert, und er hat überlebt. Ein österreichischer Feldwebel. Wie ich hörte, hat er sie hinterher eingeschmolzen und einen Briefbeschwerer daraus gemacht.«
»Klingt nach einer guten Idee.« Grey dachte über eine Reihe von Dingen nach. Sie konnte nahezu hören, wie es in seinem Kopf ratterte und klickte. »Annique … ich hätte ihn getötet.«
»Ziemlich sicher. Das zweite Stückchen steckte ganz nah an der Achselarterie. Ich konnte fühlen, wie sie pulsierte. Würdet Ihr mich jetzt freilassen, da ich es Euch erspart habe, Euren Freund umzubringen?«
Er zögerte nicht. »Nein.«
Er war die Unvernunft in Person, von Kopf bis Fuß. »Dann werde ich mir jetzt das Blut abwaschen gehen und nicht auf diese rückgratlose Weise zu Euren Füßen sitzen.« Sie zog die Beine unter den Körper und stand auf, was ihr wahrscheinlich auch ohne Greys Hilfe gelungen wäre. Er drückte ihr den Taststock in die Hand, womit sie mühelos hochkam, auch ohne die Unterstützung irgendeines Engländers. Sie hatte nicht die geringste Befürchtung, gleich ohnmächtig zu werden.
»Eure Tasche liegt auf der anderen Seite vom Feuer«, erklärte Doyle. »Sie ist … Nein. Weiter rechts. Na also. Auf dem Stein da ist Seife und ein Handtuch. Ja. Da.«
»Dann habe ich alles, was ich brauche. Ich nehme jetzt diese Sachen und gehe mich in Ruhe waschen. Vielleicht möchte Monsieur Grey ja noch so ein langweiliges Gespräch mit Adrian führen. Mir hat er ja nichts Interessantes zu sagen.«
»Nein, Miss«, versuchte Doyle sie zu beschwichtigen. Diese englischen Spione verbrachten viel von ihrer Freizeit damit, sie auszulachen.
»Ihr werdet diese Binden so lange fest aufdrücken, bis die Blutung gestoppt ist. Aber das wisst Ihr sicherlich selber.«
»Ja, Miss.«
Sie tappte mit ihrem Stock an den niedrigen Büschen entlang davon und fand den zum Fluss hin abfallenden Pfad. »Und legt ihm eine Decke über.«
Sie hätte sich ohrfeigen können. Wie dumm sie doch war. Da wollte sie doch tatsächlich bei Grey bleiben und ihm erlauben, sie zu umhegen. Dieser Kerl vernichtete sie mit seiner Freundlichkeit und seinen
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