Jodeln und Juwelen
Mrs.
Kelling?«
»Aber natürlich, warum nicht?« sagte
Emma. »Wenn diese Birne stärker wäre, könnten wir mehr sehen.«
Vincent zog natürlich auf der Stelle
eine Taschenlampe hervor. Emma drückte auf das Astloch und ließ die kleine
Holztür zur Seite schwingen. Der Safe war verschlossen, und es gab keinen
Hinweis, dass jemand versucht hatte, ihn gewaltsam zu öffnen. Emma gab die
Kombination ein und öffnete die kleine runde Metalltür. Die leeren
Schmuckkästchen und die Papiere, die sie ordentlich aufeinander gelegt
zurückgelassen hatte, befanden sich in heilloser Unordnung.
Emma zögerte. Sollte sie das Collier
erwähnen? Theonia gab ihr auch keinerlei Hilfestellung, nur ihre Lippen waren
fester zusammengepresst als sonst. Emma beschloss, das Collier nicht zu
erwähnen. Aber irgendetwas musste sie sagen.
»Ja, hier ist eindeutig jemand gewesen.
Ich habe den Safe selbst gestern Nacht geöffnet. Einerseits aus Neugier,
andererseits um nachzusehen, ob Mrs. Sabine vielleicht etwas Wertvolles hier
gelassen hatte, das man ihr nach Pleasaunce schicken sollte. Ich habe es nicht
über mich gebracht, die Papiere näher zu untersuchen, weil mir das wie ein
Vertrauensbruch erschien. Aber ich habe in die Schmuckkästchen geschaut, und
sie waren alle leer. Danach habe ich alles wieder genauso hingestellt, wie ich
es vorgefunden hatte, und gewiss nicht so, wie Sie es jetzt sehen. Irgendjemand
muss in aller Eile den Safe durchwühlt haben, meinen Sie nicht?«
»Als wollte er unbedingt fort sein,
bevor Sandy das Bewusstsein zurückerlangte«, meinte Theonia.
»Wir sollten dankbar sein, dass sie
nicht im falschen Moment zu sich gekommen ist«, sagte der Arzt. »Wahrscheinlich
braucht man gar nicht erst zu versuchen, Fingerabdrücke von diesen
Samtschatullen zu nehmen. Sie haben hoffentlich keine Wertgegenstände hier
deponiert, Mrs. Kelling?«
»Ich habe nichts mitgebracht, das
wertvoll genug wäre, um eingeschlossen zu werden. Mit Ausnahme meines
Verlobungsringes, aber den lege ich niemals ab, und einigen Reiseschecks, mit
denen ein Dieb nicht viel anfangen könnte. Zumal sie sich immer noch in meiner
Handtasche befinden.«
»Dann ist es ja gut. Aber vielleicht
sollten wir uns die Dokumente für alle Fälle auch einmal ansehen. Das machst du
am besten, Vince.«
Es stellte sich heraus, dass es sich um
nichts Weltbewegendes handelte, sondern nur um die Pläne, auf denen das
Abwassersystem der Insel dargelegt war. Vincent studierte sie interessiert und
legte sie dann vorsichtig zurück in den Safe. »Schwer zu verstehen, warum Mrs.
Sabine leere Kästchen im Safe stehen hat.«
Emma zuckte mit den Achseln. »Warum
nicht? Dafür gibt es sicher eine Erklärung. Vielleicht sind die Sabines anfangs
mit großen Schrankkoffern nach Pocapuk gereist. In diesen Koffern hatte einfach
alles Platz. Später sind sie dann mit normalen Koffern gekommen, und Mrs.
Sabine hat eine Schmuckrolle aus weichem Leder benutzt, die man leicht
verstauen konnte. Möglicherweise hat sie nach ihrer Ankunft den Schmuck immer
in die Kästchen umgepackt oder sie aus alter Gewohnheit einfach im Safe liegen
lassen, genau wie Sie vielleicht ein paar leere alte Kästchen für
Manschettenknöpfe hinten in einer Schublade liegen haben. Vincent, glauben Sie,
wir sollten Ihren Bruder Lowell zu Rate ziehen?«
»Wüsste nicht warum. Er is’ schließlich
kein Polizist. Für das hier is’ der County Sheriff zuständig, soweit ich das
sehe. Wir hatten hier draußen noch nie ‘n Problem, all die Jahre nich’, in
denen die Sabines hergekommen sind. Warum muss das alles ausgerechnet jetzt
passieren?«
»Vielleicht weil jemand der irrigen
Annahme war, dass es auf Pocapuk drunter und drüber geht, seit Mrs. Sabine so
alt und krank ist, dass sie nicht mehr reisen kann, und glaubte, ungestraft tun
und lassen zu können, was er wollte«, sagte Theonia ruhig. »Vincent, ist es
möglich, dass jemand außerhalb der Saison hier ins Haus eindringen und den Safe
finden konnte? Sie sind doch sicher im Winter nicht hier, nehme ich an.«
»Nein, bin ich nich’. Ja, möglich wär’s
schon. Wenn ich hier wegfahre und das Haus für den Winter fertig mache, sichre
ich immer alle Fenster mit Brettern und schließ’ die Türen ab. Aber das heißt
natürlich noch lange nich’, dass nich’ jemand kommt und eins von den Brettern
entfernt. Er müsste es dann nur wieder genauso befestigen, wie ich’s immer
mache, sonst würd’s mir sofort auffallen, wenn ich herkomme und nach
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