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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
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Breite. Eine Brücke aus Holz und Seilen überspannte den Abgrund, aber sie war erst vor Kurzem gebaut worden. Molly hatte sie nie überquert und wusste nicht, wie sicher sie war. Doch sie wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb, als der Brücke zu vertrauen.
    Sie packte die Führungsseile links und rechts und rannte so schnell los, dass die Seile ihr die Handflächen verbrannten. Die Brücke schwankte hin und her, und die Bretter ratterten unter ihren Füßen, doch sie schien stabil zu sein. Molly sammelte ihre verbliebenen Kräfte, um noch einmal Geschwindigkeit aufzunehmen. Wenn sie die 25 th Street erreichte, befand sie sich in einem der belebtesten Teile der Versunkenen Stadt und in relativer Sicherheit.
    Plötzlich krachte es hinter ihr. Erschrocken wollte sie sich umdrehen, blieb aber mit dem Fuß hängen und stürzte. Sie spreizte die Arme ab, landete auf dem Bauch, suchte panisch nach Halt und betete, dasssie nicht von der Brücke rutschte. Als sie sicheren Halt hatte, drehte sie sich um. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie sah, wie der riesige Gas-Mann sich aus den Trümmern der alten Treppe auf dem letzten Dach erhob. Die Treppe war unter seinem Gewicht zusammengebrochen.
    Molly fragte sich, ob sie springen sollte. Konnte sie unter den Wellen davonschwimmen und irgendwo ein Versteck finden?
    Dann geschah etwas Unerwartetes und Erschreckendes: Mit einem gewaltigen Sprung segelte der Gas-Mann durch die Luft und landete vor Molly am anderen Ende der Brücke auf dem Dach.
    Das war unmöglich.
    Und doch war er dort.
    Molly sank auf die Knie, packte ein Befestigungsseil und warf sich über die Kante. Sie wog kaum mehr als vierzig Kilo, aber die Brücke schwankte bedrohlich, als sie an dem Seil hin und her schaukelte   – einmal, zweimal, dreimal. Dann ließ sie los. Die Knie an die Brust gezogen, ruderte sie mit den Armen.
    Molly krachte auf den Laufsteg aus Stahl unter der Brücke und prallte gegen die Hauswand. Von oben hörte sie das klebrige, schnaufende Atemgeräusch des Gas-Mannes. Sie stieß sich von der Wand ab und flitzte den Laufsteg entlang zur Hausecke. Dort bog sie in die schmale, schattige Gasse ein, wo die Feuertreppe nach unten zum Wasser führte.
    Sie hatte keine Zeit mehr für Vorsicht. Vorsicht wäre ihr Tod. Sie warf die Beine über das Geländer, ließ sich hinuntergleiten und tastete mit den Füßen nach dem Geländer einen Stock tiefer. Sie hatte keine Zeit, die Treppe zu nehmen; stattdessen kletterte sie hinunter. Ihr Leben in diesem seltsamen, überfluteten Dschungel aus Stein und Eisen hatte sie gelehrt, wie man sich hier bewegen musste.
    Mit einem Blick nach unten ließ Molly los und ließ sich auf einen hölzernen Überweg gleich oberhalb der Hochwasserlinie fallen, den man die Chinesische Brücke nannte. Laternen und kleine Altarschreine, inregelmäßigen Abständen errichtet, säumten den Weg auf seiner gesamten Länge. Das Wasser schwappte gegen die Gebäude, erreichte aber nie die Chinesische Brücke. Sie führte zwischen Gebäuden hindurch von der 27 th Street zur 26 th , wo eine kleine chinesische Enklave abseits der weitaus größeren Downtown-Gemeinde lebte.
    Nachts, wenn die Gaslichter in den bunten Lampions leuchteten und einen Regenbogen sanfter Farben auf die Wände links und rechts warfen, bot die Brücke einen wunderschönen Anblick, den Molly liebte. An diesem Morgen jedoch war die Chinesische Brücke für sie nichts anderes als der Weg ins Überleben.
    Irgendetwas traf den hölzernen Laufsteg und ließ die Bretter unter Mollys Füßen zittern. Sie brauchte nicht über die Schulter zu blicken. Sie wusste auch so, dass es der Gas-Mann war. Heiße Wut durchfuhr sie. Einen Augenblick hatte sie zu glauben gewagt, sie könne es schaffen, doch erneut hatte das Ungetüm zu ihr aufgeschlossen. Sie, Molly, hatte Felix im Stich gelassen. Wenn sie jetzt starb, würde sie ihn noch einmal verraten.
    Tränen brannten in ihren Augen, was sie nur noch wütender machte. Sie wollte nicht weinen. Ohne langsamer zu werden, blickte sie hinter sich. Ihre Schritte hallten vom Holz und von den Wänden wider. Das Ungeheuer holte auf, war nur noch zwanzig Fuß hinter ihr.
    Unvermittelt stieß Molly mit einem riesigen Mann zusammen und taumelte zurück. Seine kräftigen Hände schlossen sich um ihre Schultern und hielten sie fest. Verzweifelt schlug Molly mit den Fäusten auf die gewaltigen Arme. Der Gas-Mann! Jetzt hatte er sie!
    Aber das konnte nicht sein, er war doch hinter ihr!
    Molly

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