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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
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Bankier aus Uptown ermordete Mädchen aus der Versunkenen Stadt   –, und ich war ins Wasser gefallen und wäre fast ersoffen. Church hat mich rausgefischt. Er sagt, durch den Sauerstoffmangel ist ’n Teil von meinem Gehirn abgestorben. Aber wenn ich ehrlich bin, ich hab so ’n Gefühl, ich hätte Church vorher schon gekannt, und dass er mich vor irgendwas gerettet hat, worüber er nicht reden will. Das ist seltsam, denn er ist ’n netter, grundehrlicher Kerl und ’n schlechter Lügner. Ich glaube, er weiß mehr über meine Vergangenheit, als er zugibt.«
    »Zum Beispiel?«
    »Wenn ich das wüsste, könnte ich die Lücken in meinem Gedächtnis selber füllen.«
    »Du sagst, du hast nicht viele Erinnerungen an dein Leben, bevor du Mr.   Church kennengelernt hast. Woran erinnerst du dich denn?«

    Joe schwieg, fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und streifte Regenwasser heraus. Wieso hatte er sich auf dieses Gespräch eingelassen? Er konnte ja verstehen, dass das Mädchen neugierig war, aber er wolltenicht über den dunklen Abgrund seiner Erinnerung vor der Begegnung mit Church nachdenken, geschweige denn darüber reden.
    Dennoch, er hatte damit angefangen, und er mochte Molly zu sehr, um sie zu ignorieren.
    »Manchmal hab ich Träume«, sagte er.
    Der Regen schien nachgelassen zu haben; dafür war der Himmel dunkler geworden.
    »So wie Erinnerungen, die kommen, während du schläfst?«, fragte Molly.
    Joe blickte sie an. »Du bist ganz schön helle, Kleine. Ja, irgendwie so, schätze ich. Manchmal sind es gute Träume, manchmal Albträume. Oft träume ich, dass ich vor ’ner Tür stehe. Dahinter ist alles, woran ich mich nicht erinnern kann. Ich muss die Tür nur aufmachen und   …«
    Er verstummte. Wie lange war es her, dass er so viel geredet hatte? Ewigkeiten. Church kannte ihn so gut, dass sie an manchen Tagen kaum miteinander sprachen, sich mit der Gesellschaft des anderen begnügten und intuitiv die nächsten Schritte taten, die erforderlich waren, um die Ermittlungen voranzutreiben, an denen sie gerade arbeiteten.
    »Wenn ich diese Tür aufbekäme, würde ich mich an alles erinnern«, fuhr Joe fort. »Wenn ich schlafe, kommt es mir vor, als wär’s möglich. Aber sobald ich aufwache, hat die Tür nicht mal ’nen Knauf. Man kommt einfach nicht durch.« Er schauderte. »Diese Träume können auf keinen Fall Erinnerungen sein.«
    »Wieso nicht?«, fragte Molly.
    Joe umfasste das Steuerrad fester. Seine Gelenke fühlten sich noch steifer an als sonst und schmerzten. Er musste sich darauf konzentrieren, ruhig zu atmen. Schon wenn er zu sehr über seine Träume nachdachte, geriet er an den Rand der Panik, aber darüber zu reden war noch viel schlimmer. Wie sollte er Molly klarmachen, wie man sich fühlte, wenn man in solch seltsamen Albträumen gefangen war? Die Träumewaren so lebhaft, dass er nach dem Aufwachen immer eine ganze Weile brauchte, bis er wusste, was in die Traumwelt gehörte und was in die Wirklichkeit.
    Joe blickte nach vorn in den sturmdunklen Nachmittag und den Regen und ließ seine Gedanken zu jenem Traum zurückschweifen, den er erst in der vergangenen Nacht gehabt hatte. Unter ihm schien die Welt wegzurutschen, und er fühlte sich mit einem Mal desorientiert. Er blinzelte und gab sich alle Mühe, sich auf den Sturm und das Wasser zu konzentrieren.
    Doch für einen Augenblick war er nicht mehr mit Molly im Kajütboot. Er war in seinem Traum.
    Durch Schneegestöber stolpert er bergab, reißt einem Dutzend Bäume die Äste ab. Rings um ihn ist Winter, genauso wie in seinem Innern. Sein Herz fühlt sich an, als wäre es ein gefrorener Eisblock in seiner Brust.
    Vor ihm, vom Fuß des Hügels her, gellt plötzlich ein Schrei.
    Er beschleunigt seinen Abstieg, eilt die Steigung hinunter. Wegen der Dunkelheit sieht er eine kahle Eibe nicht und prallt dagegen. Der tote Baumstamm bricht bei seinem Aufprall ab und schleudert Schwamm aus der Bruchstelle. Er wird kaum langsamer, aber in dem winzigen Augenblick des Zögerns zerreißt erneut ein Schrei das Heulen des Sturms, doch das Geräusch wird vom Wind davongetragen, sodass er die Stelle, von der der Schrei kam, nicht erkennen kann. Er käme sowieso nicht auf die Idee, dem vom Schneesturm verwehten Gespenst eines Schreis nachzuhetzen. Sein Instinkt leitet ihn. Er weiß, wo der Schrei enden wird: genau da, wo auch die anderen geendet haben.
    Er bricht aus den Baumskeletten hervor, trampelt über Buschwerk und Steine, zwanzig Fuß vom Rand des

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