Joe Golem und die versunkene Stadt
schon auf sich warten ließ, wollte Joe die letzten Minuten seines Lebens nicht vergeuden. Er rollte sich auf die Seite. Eine Hand presste er auf seine schlimmste Wunde im Unterleib, um im Körper zu halten, was sonst herausquellen würde. Von Blut und Regen durchnässt, klebte ihm die Kleidung an derHaut fest und zupfte bei jeder Bewegung an den Kugelwunden. Damit vertrieb sie die Taubheit, die so angenehm gewesen war. Dennoch gelang es ihm, sich auf die Knie aufzurichten. Als er so weit war, bedurfte es nur noch einer einzigen Kraftanstrengung, und er stand.
Joe verharrte im leichten, nebligen Regen und spürte, wie ihm das Blut die Beine hinunter in die Schuhe lief. Seine Füße machten schmatzende Geräusche, als er sich stolpernd in Bewegung setzte und Molly und den Gas-Männern den Hang hinunter folgte. In ihm rieben gebrochene, zerrissene Teile gegeneinander, und er hätte vor Schmerzen brüllen können. Doch ein Schrei wäre ein Luxus gewesen und hätte zu viel Kraft verbraucht. Er bewegte die Finger und wünschte sich, er hätte seine Pistole noch. Dann fiel ihm ein, dass sie leer geschossen war.
Als der Gas-Mann ihm das Pentajulum weggenommen hatte, hatte Joe eine ungefähre Vorstellung von der Richtung erhalten, in der Mollys Entführer sich bewegten. Seine Sicht verschwamm, klärte sich und verschwamm wieder. Die Welt flackerte mit seinem Lebenslicht, aber er blieb auf Kurs. Als er gegen einen geborstenen Grabstein prallte, taumelte er, fing sich aber an der Kante einer Gruft und konnte sich aufrecht halten. Er nahm drei tiefe Atemzüge, schluckte das Blut herunter, das ihm in den Mund gestiegen war, und schob sich von dem Stein weg, ohne auf die blutigen Abdrücke zu achten, die seine Hände hinterließen.
Langes Gras zupfte an seinen Hosenbeinen, doch Joe schleppte sich weiter den Hang hinunter. Er blinzelte, und vor ihm stand ein großer Steinengel, der schon vor langer Zeit seinen Marmorkopf verloren hatte. Joe blinzelte noch einmal und fand sich auf einem rissigen Gehweg wieder, einem längst vergessenen Pfad für Trauernde. Vor Verwirrung schwankend, blieb er stehen. Zwei kleine Boote jagten über den Fluss und zogen eine schwarze Rauchfahne hinter sich her, während ein Gas-Mann in langem Mantel durch das Turmluk eines kleinen U-Bootes glitt.Joe schüttelte den Kopf. Er musste sich das alles einbilden. Allein diese seltsame Finne, die aus dem Rücken des Rumpfes ragte.
Er biss sich fest auf die Lippe, und einen Moment lang hatte er klare Sicht. Das U-Boot verschwand nicht. Vielmehr lief es langsam am Flussufer entlang nach Süden, ins tiefere Wasser. Dampf schoss aus den gerippten Rohren der Topp-Finne. Erst als das Boot tauchte, strömte Wasser aus den Rohren.
Molly , dachte Joe. Ob sie in dem U-Boot war oder auf einem der Boote, sie fuhren alle zum gleichen Ziel – Dr. Cocteaus Versteck. Die wichtigste Bedeutung dieser Erkenntnis kam Joe als Letztes in den Sinn: Sie hatten Molly nicht erschossen, sondern nur brutal entführt; das bedeutete, dass Dr. Cocteau befohlen hatte, sie lebendig zu ihm zu bringen. Aber zu welchem Zweck? Joe schauderte. Wenn Cocteau auf irgendeine Weise Menschen und Tiere zu diesen Gasmasken tragenden Kreaturen verschmolzen hatte, was mochte er dann dem Mädchen antun?
Nein . Joe taumelte ins Wasser, watete tief in den Fluss. Anfangs brannte das Wasser in seinen Wunden, dann aber kühlte es sie. Ihn überkam das Verlangen, sich einfach von der Flut davontragen zu lassen, und beinahe hätte er ihm nachgegeben. Dann aber dachte er an Molly, die sich auf ihn verlassen und mit ihm gescherzt hatte. Molly, die ihm ihr Vertrauen geschenkt hatte.
Joe stürmte tiefer ins Wasser, folgte dem weggleitenden U-Boot, tauchte unter, zog sich Hand über Hand hinterher. Als er die Augen öffnete, sah er, dass das fremdartige Wasserfahrzeug an den Seiten ähnliche Flossenrohre hatte wie auf dem Rücken. Während er näherschwamm, schmeckte er, wie sich in seinem Mund Wasser und Blut vermischten. Er streckte die Arme vor und spürte, wie irgendetwas in seiner Brust und seinem Bauch riss, konnte sich aber an der Backbordflosse festklammern. Die Wasserstrahlen, die aus den Rohren schossen, drückten ihn zurück, doch er verlor nicht den Halt.
Das U-Boot nahm Geschwindigkeit auf, als Joe sich um die Krümmung der Flosse zog. Er fand eine Stelle, wo er sich an den Rumpf pressen konnte. Von da an blieb ihm nichts weiter zu tun, als darauf zu achten, auf keinen Fall
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