Joe Golem und die versunkene Stadt
der traumartige Kontrast zwischen den Einrichtungsstilen des Saals. Überall hatte man Pfeiler und Balken angebracht, von denen schwere Samtvorhänge und kunstvolle Gobelins hingen, was dem ganzen Raum den Anschein eines reisenden Zigeunertheaters verlieh, das versuchte, auf einer improvisierten Bühne einen Königshof darzustellen.
Erst als der kleine, bucklige Schleicher in der unheimlichen Maske hinter einem Vorhang hervorhuschte, bemerkte Molly, dass er sie irgendwie überholt hatte. Der Bucklige starrte sie an, neigte kurz den Kopf zur Seite und verschwand wieder zwischen den Vorhängen. Im nächsten Augenblick streckte er den Kopf abermals hervor und musterte Molly hinter den dunklen, funkelnden Linsen. Er wollte, dass sie ihm folgte, aber es gelang ihr nicht, ihre Füße in Bewegung zu setzen.
Erst als ein anderer Gas-Mann sie von hinten anstieß, ging sie weiter. Sie führten sie tiefer in den Saal hinein, wobei der kleine bucklige Gas-Mann vorausging. Molly folgte ihm durch die Vorhänge. Dahinter erwartete sie eine neue Überraschung. Auf dem Boden lagen fleckige Teppiche, und vor den Vorhängen hingen alte Gemälde an Ketten von der Decke. Erlesene Möbel standen wie in einem Wohnzimmer angeordnet. Molly begriff, dass die verschiedenen Räume, die von den Pfeilern und Gehängen geschaffen wurden, die Zimmer eines Palasts nachahmten. Dennoch kam die Einrichtung ihr irgendwie falsch vor, wie ein fadenscheiniges Bühnenbild für eine Theateraufführung, das gleich nach Fallen des Vorhangs von der Bühne getragen wurde.
Molly folgte dem Buckligen durch mehrere Räume und einen langen Gang unter tropfenden Rohren hindurch, die hoch über ihren Köpfen hingen. Vorbei an wummernden Maschinen durchquerten sie den merkwürdigen, nachgeahmten Palast, während die Gas-Männer hinter ihr herstapften.
Als sie endlich in einen viel größeren Raum gelangten, stockte Molly erneut. Bei den vielen Pumpen, Rohren und Vorhängen, die ihr die Sicht verstellten, hatte sie nicht sagen können, was sie erwartete. Mit angehaltenem Atem blickte sie sich um und versuchte, den verrückten Anblick in sich aufzunehmen, ohne dass sie von seiner Eigentümlichkeit überwältigt wurde. Sie sah ein Podest mit einem Prachtsessel, der nur als Thron gedacht sein konnte, eine lange Speisetafel mit einem einzigen Stuhl und eine Dreiergarnitur schäbiger Tische, auf denen offenbar operiert wurde; abgewetzte Lederfesseln hingen an den Seiten herunter. In Regalen und auf Arbeitsbänken ringsum standen in wirrem Durcheinander medizinisches Gerät und große Gläser, in denen irgendetwas schwamm.
Doch keiner dieser seltsamen Gegenstände überraschte Molly so sehr wie das offenkundige Herzstück des Raumes: eine gewaltige Glaskugel von mehr als zwanzig Fuß Durchmesser auf einem Metallsockel, den Hebel, Räder und Ventile spickten, deren Zweck nicht erkennbar war. Im Innern der Kugel schien sich irgendetwas zu bewegen. Molly musste beim Anblick der Sphäre unwillkürlich an die Kristallkugel mitdem Sprung denken, die Felix ihr geschenkt hatte, nachdem sie den Séanceraum im alten Theater dekoriert hatte. Er hatte erklärt, die Kugel habe einst einem weissagenden Zigeuner gehört, doch als Molly ihn fragte, ob sie wirklich funktioniere, antwortete er, dies hänge ganz davon ab, was man in dem Kristall sehen wolle.
Dann aber wurde Molly bewusst, dass die Sphäre sie weniger an die Kristallkugel erinnerte als vielmehr an die vier gläsernen Schneekugeln, die in Felix’ Küche auf einem Regalbrett standen. Es hatte nur die vier Kugeln gegeben – zu wenig, um eine Sammlung zu bilden, aber ausreichend, um sie nebeneinander auszustellen. Einmal hatte Molly beim Staubwischen die alte Coney-Island-Schneekugel zerbrochen; dabei hatte sie entdeckt, dass es sich um eine aufziehbare Musikschneekugel gehandelt hatte, die eine alte Melodie spielte, Ain’t She Sweet , wenn man den Schlüssel an der Unterseite drehte – oder sie beim Staubwischen fallen und zerbrechen ließ.
Erst als Molly weiter in den Saal vordrang, blickte sie über das Thronpodest, die Operationstische und die riesige Glassphäre hinaus. Die Vorhänge, die einen abgeschlossenen Raum um die grundverschiedenen Elemente vortäuschten, bildeten nur einen Halbkreis, dahinter befand sich eine richtige Mauer, schroff und abweisend, die sich hoch in die Dunkelheit über ihnen reckte.
Molly hielt den Atem an und starrte auf die Wand, in der es zahlreiche Fenster in verschiedenen
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