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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
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sie es nie mehr auslöschen könnte.
    »Das war nicht   … das kann nicht Felix sein«, hauchte sie.
    Gas-Männer schauten aus der Ferne zu. Einige standen zwischen den Vorhängen, die den falschen Eindruck erweckten, dieser Raum sei von dem riesigen Saal getrennt. Andere verstellten ihr den Rückzug, regungslos und schweigend. Die dunklen Linsen ihrer Masken verbargen jedes Anzeichen von Persönlichkeit oder gar Empfindungen.
    Mit einem Gefühl der Übelkeit presste Molly die Handballen auf die Augen und versuchte, ruhiger zu atmen. Sie schüttelte den Kopf, ohne die Hände von den Augen zu nehmen. Dieses Wesen im Wasser konnte aus vielerlei Gründen nicht Felix Orlov sein, allein schon deshalb nicht, weil die Kreatur es leicht auf die doppelte Größe eines Menschen brachte. Molly hatte kurz auf eine Hand des Wesens geschaut, und diese Hand hatte nur drei lange, vielgliedrige Finger besessen, die an die Beine einer Krabbe erinnerten. Der Arm war von einem stachligen Panzer bedeckt wie bei einem Insekt oder Krustentier, aber am schlimmsten war das Gesicht, das sich in eine wimmelnde Masse aus verzerrtem Fleisch verwandelt hatte.
    Dr. Cocteau war wahnsinnig, oder er log, oder beides. Was immer er in der Glassphäre gefangen hielt, es war nicht Felix.
    Und doch war er es. Als Molly in das schreckliche Gesicht gestarrt hatte, hatte sie noch ein klein wenig von ihrem väterlichen Freund darin erkannt, hatte noch immer eine Aura des Vertrauten gespürt.
    Sie drehte sich nach rechts und übergab sich auf den Teppich unter ihr   – einer von vielen, die Cocteau wahllos auf dem Boden des großen Saals ausgebreitet hatte. Ihr Magen zog sich zusammen, und fast hätte sie noch einmal etwas hervorgewürgt, doch sie konnte es unterdrücken, atmete durch den Mund und wandte sich von dem Gestank ihres eigenen Erbrochenen ab.
    Jetzt erst bemerkte sie, dass Wasser aus der Sphäre geleckt war und den Teppich tränkte. Sie spürte die feuchte Kälte am Hosenboden und an den Knien, deshalb wich sie auf allen vieren zurück, bis sie die staubigen Fliesen des Fußbodens unter sich spürte, die vor einem Dreivierteljahrhundert in diesem gewaltigen U-Bahnhof verlegt worden waren. Denn etwas anderes konnte es nicht sein. Es war eine Art unterirdisches Gegenstück zur Halle der Grand Central Station, die man errichtet und dann dem Zahn der Zeit überlassen hatte. Während der Jahre, die Molly unter Squattern und Plünderern verbracht hatte, war ihr eine ganze Reihe von Geschichten über solch kostspielige Irrtümer in der Historie der New Yorker U-Bahn zu Ohren gekommen, aber keiner davon besaß diesen Maßstab. Cocteau hatte die Halle mit Beschlag belegt und vom Fluss abgetrennt.
    Und ich bin hier mit ihm gefangen , dachte Molly. Sie drehte sich um undbetrachtete wieder die Wassersphäre, doch das Wesen darin wollte sie nicht genauer ansehen. Ihre Unterlippe bebte, und sie musste an sich halten, um nicht in Tränen auszubrechen. Cocteau hatte Felix als ihren Vater bezeichnet, aber damit lag er falsch. Doch Felix hatte sich ihrerangenommen wie ein Vater, und er war ihr bester Freund. Ihr einziger wirklicher Freund.

    »O Gott«, flüsterte sie, presste die Hände gegen die Schläfen und atmete wieder flach. Diesmal aber nicht, um zu verhindern, dass sie sich übergeben musste, sondern um nicht loszuschreien.
    Unsicher erhob sie sich, wandte sich um und blickte Dr. Cocteau an, der merkwürdig still geworden war. Sie sah die Gas-Männer, die sich vor dem Podest von Cocteaus Thron scharten   – es musste sein Thron sein   – und jeden Fluchtweg verstellten. Sie erinnerten Molly an Krähen, die in einer Reihe auf der Kante eines Gebäudes saßen oder in den Ästen eines Baumes auf dem Friedhof von Brooklyn Heights. Die schwarzen Vögel hockten dort schweigend und beobachteten Unheil verkündend, wie die Welt an ihnen vorbeizog, als hätten sie einen hinterhältigen Plan geschmiedet und warteten nur auf das Kommando, mit der Umsetzung dieses Plans zu beginnen.
    Dr. Cocteau stand in den Schatten vor der aufragenden Reihe von Fenstern, die sich bis zur Decke erhoben. Der Schleicher war auf einen Stuhl mit hoher Lehne geklettert und stand auf der gepolsterten Armlehne, den Kopf zu Cocteaus Ohr geneigt. Der kleine bucklige Gas-Mann hatte die Maske leicht angehoben, und gelbes Gas nebelte aus der Lücke. Cocteau nickte, als flüstere das Geschöpf ihm Geheimnisse von großer Bedeutung zu. Dann bemerkte er, dass Molly ihn beobachtete, und kniff

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