Joe Golem und die versunkene Stadt
die Augen zusammen. Im nächsten Moment breitete sich ein strahlendes Lächeln über seine geradezu engelhaften Züge aus. Er klopfte dem Schleicher auf die Schulter, und das Geschöpf zog die Maske wieder fest. Dr. Cocteau kam auf Molly zu, doch der Schleicher blieb auf dem blumenbestickten Polster stehen, als wäre der Lehnstuhl sein eigener kleiner Thron.
»Verwandeln Sie ihn zurück«, sagte Molly. Zorn flackerte in ihr, loderte rasch auf und brannte ihre Angst weg.
»Sie missverstehen mich«, erwiderte Dr. Cocteau. »Das ist nicht mein Werk. Sie haben während Ihrer Jahre bei Mr. Orlov miterlebt, wie er Phasen durchmachte, die Sie für Krankheit hielten. Was Sie hier sehen, ist nur der Gipfelpunkt von …«
Molly schlug ihm so hart ins Gesicht, dass seine Brille davonflog und auf dem feuchten Teppich landete. Cocteau starrte Molly an, rührte sich aber nicht von der Stelle, als wäre er gelähmt. Sein Mund stand vor Schock offen. Einen Moment lang schwand sein freundliches Gebaren. Ein Auge zuckte, und die Nasenflügel blähten sich. Dann atmete er tief ein und blickte auf den Teppich unter seinen Füßen.
Der Schleicher hopste von seinem Minithron unter dem Fenster, huschte herbei und hob die Brille seines Herrn auf. Cocteau sah das Geschöpf nicht einmal an, als er die Brille entgegennahm. Er setzte sie sich wieder auf und befestigte die Bügel an den Ohren.
»Ich verstehe, dass Sie erregt sind, Molly«, sagte er und strich die Samtrevers seiner Jacke glatt und musterte das Mädchen aus seinen mitfühlenden Augen. »Aber Sie dürfen sich nicht noch einmal derart vergessen. So geht das nicht.«
»Wirklich?«, fragte Molly und begegnete zornig seinem Blick. Sie achtete weder auf den Schleicher noch auf die übrigen Gas-Männer oder die Wasserkugel, in der Felix nicht mehr Felix war. »Vielleicht sollten Sie mir einmal genau erklären, was diese Kugel sein soll, denn es sieht mir ganz danach aus, als hätten Sie meinen besten Freund in ein Monstrum verwandelt.«
Mit einem traurigen Lächeln schüttelte Cocteau den Kopf. »Ach, meine Liebe, nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.« Er ging zu der Sphäre, legte eine Hand daran und blickte liebevoll durch das Glas, ehe er sich wieder Molly zuwandte. »Kommen Sie her.«
Widerstrebend näherte sie sich dem Becken, vermied es jedoch, allzu tief in das trübe Wasser zu spähen, denn was aus Felix gewordenwar, hatte sie entsetzt und angewidert, aber vor allem hatte es ihr das Herz gebrochen. Hier sah sie ihn vor sich; er lebte noch, war aber kein Mensch mehr, war nicht mehr Felix. Sie wollte um ihn trauern, aber wie? Er war nicht einmal tot.
»So ist es gut«, sagte Dr. Cocteau, streckte die Hand aus und tätschelte Mollys Kopf, als wäre sie ein Schoßtier, das er besänftigen wollte. »Wir werden reden, aber währenddessen bleiben Sie hier. Er braucht Sie. Er muss Sie sehen und wissen, dass Sie da sind. Es gibt keine andere Möglichkeit, ihm zu helfen.«
Cocteau wandte sich dem Schleicher zu, und ein bisschen von der Wut, die er vor Molly verbarg, huschte über sein Gesicht. »Ich hoffe, Sie geben mir noch einen Augenblick, um eine unerledigte Sache zu beenden, dann schenke ich Ihnen meine ungeteilte Aufmerksamkeit und beantworte alle Ihre Fragen.«
Molly starrte ihn an, doch so nahe am Glas – an Felix – konnte sie nur erschauern und Tränen der Trauer und Verzweiflung unterdrücken. Am liebsten hätte sie Cocteau angegriffen, sich schreiend auf ihn gestürzt, aber das hätte sie nicht weitergebracht. Sie wollte Felix retten, und wenn dieser Mann mit seinem seltsamen Benehmen und seiner verdrehten Wissenschaft ihr sagen konnte, wie sie das anstellen konnte, musste sie die Beherrschung wahren.
Cocteau strich sich den weißen Bart, während er den Schleicher musterte. Dann wandte er sich zwei Gas-Männern zu, die neben dem Thronpodest standen.
»Ihr beiden da, kommt her«, sagte der alte Mann und winkte die Gas-Männer mit dem Finger zu sich.
Sie eilten zu ihm, eigentümlich schnell trotz ihres merkwürdigen, ungelenken Ganges, der, wie Molly nun feststellte, typisch war für sie alle, nur nicht für den Schleicher.
Dr. Cocteau blickte sie an. »Das wird Ihnen nicht gefallen, nehmeich an«, sagte er, »aber ich möchte Ihnen zeigen, dass wir hier keine Geheimnisse haben. Ich verberge nichts vor Ihnen. Das ist die einzige Möglichkeit für mich, Ihnen begreiflich zu machen, dass ich aufrichtig bin. Simon Church ist ein Mann,
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