Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
Vom Netzwerk:
und Nacht. Zusammen bilden sie die Ordnung der Dinge.
    »Church hat vorsätzlich die Augen geschlossen und mich wegen meiner Experimente als Wahnsinnigen bezeichnet, aber ich habe mehr als neunzig Jahre lang die Energien studiert, die zwischen unserer Dimension und der dunklen Leere hin und her fließen, in die sich die alten Götter zurückgezogen haben, als sie unsere Welt verließen, ehe die Zeit begann, wie wir sie kennen   …«
    »Was reden Sie denn da?«, rief Molly.
    Dr. Cocteau erstarrte und kniff die Augen zusammen. Bisher hatte er, von einem kurzen Moment abgesehen, seine Wut so gut verborgen, dass Molly schon geglaubt hatte, sie hätte sie sich nur eingebildet. Jetzt aber rutschte ihm die Maske herunter. Er packte die Armlehnen seines Throns mit solcher Kraft, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten, und bedachte Molly mit einem höhnischen Blick unverhohlener Boshaftigkeit.
    »Ich rede keineswegs   …«, begann er, hielt inne und schüttelte den Kopf. »Ist Ihnen schon der Gedanke gekommen, dass Sie einfach nur zu dumm sind, um zu begreifen, was ich sage?«
    Molly hielt den Atem an. Sie hatte zu viel Angst, um zu widersprechen. Doch ihr Schweigen machte Cocteau nur noch zorniger. Erstand auf und sprang vom Podest. In einer spinnenhaften Hocke landete er nur wenige Fuß von Molly entfernt. Sie schrie auf, wich an die Glassphäre zurück und starrte ihn entsetzt an.
    Wie konnte ein Mann seines Alters körperlich zu so etwas imstande sein?

    Als Cocteau näher kam, schob er eine Hand in die Tasche und zog eine Faust voll rosafarbenem, schuppigem Pulver hervor. Molly drückte sich gegen das Glas und blickte sich nach einer Stelle um, an die sie fliehen konnte, doch die Gas-Männer schauten reglos zu, und der Schleicher sprang vor Entzücken auf und ab. Aus seiner Maske drang ein Schnattern, und Molly wusste, dass sie mit ihrer Vermutung richtiggelegen hatte. Er war einmal ein Affe gewesen.
    »Felix!«, schrie Molly, drehte sich um und schlug gegen das Glas. Sie erkannte den dunklen Umriss, der sich in der trüben Brühe wand. Ein Arm reckte sich zur Scheibe   – ein langer, vielgliedriger Arm mit drei langen, krabbenbeinähnlichen Fingern. Dann kam ein weiterer Arm, dann ein dritter, ein vierter. Molly erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf Felix’ Gesicht, aber diesmal schrie sie nicht auf. Ihr Herz füllte sich mit Trauer um ihn.
    Dann riss Dr. Cocteau sie herum.
    »Sehen Sie!«, rief er und blickte sie mit weit aufgerissenen Augen hinter den Brillengläsern an. Sein Lächeln wirkte beinahe gierig.
    Cocteau warf den rosafarbenen Staub in die Luft. Er breitete sich zu einer Wolke aus, die augenblicklich herabsank. Einiges davon drangMolly in die Augen, und sie spürte ein merkwürdiges Brausen in den Adern. Wo der Staub ihre Haut berührte, schien sie zu prickeln. Als Molly in die wogende Wolke blickte, erkannte sie, dass der Staub zu glitzern begonnen hatte. Sie versuchte sich die Augen zu wischen, während der Staub zu einer dünnen, undurchsichtigen Schicht aus Nebel wurde, der höher aufstieg, sich über sie ausbreitete und immer stärker glitzerte.
    Dann wurde der Raum plötzlich dunkel, wie auf Cocteaus Befehl. Molly hörte zwar noch das Rascheln und Quietschen der Gummianzüge, in denen die Gas-Männer steckten, das schwere, feuchte Atmen des kleinen Schleichers und das Gluckern des Wassers in der Sphäre hinter ihr, doch die Dunkelheit war allumfassend, verdeckte selbst die Glaswand des Aquariums und den Schleicher auf seinem Thron, und bald kam das einzige Licht von oben.

    »Das ist schön«, sagte Molly mit tauben Lippen; ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Einen Augenblick lang kam es ihr vor, als könnte sie nicht atmen.
    »Das Universum«, flüsterte Dr. Cocteau ihr ins Ohr.
    Wo die Decke gewesen war, weit oben, sah Molly nun nur noch Sterne. Einmal war in Uptown der Strom ausgefallen, und sie hatte mit Felix auf dem Dach gestanden und in den Nachthimmel geschaut. Ohne die Lichter der Stadt hatte sie sehen können, dass das Universum ein endloses Feld aus Sternen war   – mehr, als sie sich je vorgestellt hätte. Nun sah Molly die Sterne wieder, als stünde sie auf einem Gebäude und blickte bei völliger Dunkelheit in den Nachthimmel, nur sie und der wahnsinnige Dr. Cocteau.
    Nein. Es gibt auch noch andere , dachte sie. Wir sind nicht allein.
    Und das waren sie tatsächlich nicht. Molly spürte die anderen, die sie aus den Räumen zwischen den Sternen und den

Weitere Kostenlose Bücher