Joe Kurtz 02 - Bitterkalt
Arm umklammerte. Der Junge schluchzte und flehte. »Bitte nicht! Mom, hilf mir! Nein, nein, nein. Du gottverdammter ...«
Hansen brachte die Waffe in den richtigen Winkel und schoss dem Jungen in die Brust.
Jason keuchte, sein Mund öffnete und schloss sich wie der eines gestrandeten Fisches, der nach Luft schnappte, aber er umklammerte noch immer Hansens Handgelenk, versuchte, einen zweiten Schuss abzuwehren. Hansen presste sein Knie auf die blutige Brust des Jungen, quetschte ihm die letzte Luft aus den Lungen und befreite seinen rechten Arm aus dem schwächer werdenden Griff seines Stiefsohns.
»Dad ...«, keuchte der verwundete Teenager.
Hansen schüttelte den Kopf, legte den Lauf an die Stirn des Jungen und drückte ab.
Keuchend, außer Atem und von der Anstrengung fast zitternd ging Hansen ins Gästebad. Irgendwie hatte er es vermeiden können, Blut oder Gehirnmasse auf seinen Mantel und seine Hose zu bekommen. Seine schwarzen Slipper waren allerdings weniger glimpflich davongekommen. Er benutzte eines der rosafarbenen Gästehandtücher, um die Schuhe zu reinigen, dann wusch er sich Gesicht und Hände und trocknete sich mit einem weiteren Handtuch ab.
Das Gästezimmer bot einen chaotischen Anblick – die Kommode war verschoben, der Spiegel zerbrochen, die grüne Tagesdecke auf dem Bett unter Jasons Leiche zerwühlt. Der Mund des Jungen stand immer noch wie zu einem stummen Schrei weit offen. Hansen ging zum Fenster und spähte kurz hinaus, machte sich aber keine Sorgen, dass die Nachbarn die Schüsse gehört haben könnten. Die Häuser standen zu weit auseinander und Fenster und Türen waren verrammelt, um den Winter auszusperren.
Der Schnee fiel jetzt stärker und im Westen hatte sich der Himmel stark verdunkelt. Dickson, ihr Irish Setter, rannte draußen aufgeregt in seinem Hundezwinger hin und her.
Hansen fühlte sich beschwingt, sein Geist war klar, Energie durchströmte ihn wie nach einem ausgiebigen Training im Fitnesscenter. Das Schlimmste war passiert – jemand hatte sein Souvenirkästchen gestohlen –, aber das machte ihn noch lange nicht handlungsunfähig. James B. Hansen war viel zu intelligent, um nicht verschiedene Notfallpläne in der Tasche zu haben. Ein Rückschlag, keine Frage, einer der unangenehmsten, die ihn je ereilt hatten, aber er rechnete schon länger damit, dass jemand eines Tages nicht nur eine seiner Identitäten, sondern die gesamte Kette seiner Leben und Verbrechen durchschaute. In Toronto wartete ein plastischer Chirurg auf ihn, in Vancouver ein neues Leben.
Doch zuerst die Details. Es war ärgerlich, dass der Dieb – Kurtz oder wer auch immer – seinen C4-Sprengstoff mitgenommen hatte. Damit wäre es ihm gelungen, diesen Teil des Hauses so effektiv in Schutt und Asche zu legen, dass nur ein Team forensischer Sprengstoffexperten in wochen- oder monatelanger Arbeit hätte herausfinden können, was wirklich passiert war. Aber auch ein einfaches Feuer würde ihm genug Zeit verschaffen. Vor allem, wenn man im Haus die übliche dritte Leiche finden würde.
Seufzend, weil er Zeit dafür opfern musste, verließ Hansen das Haus, schloss die Tür hinter sich und fuhr mit dem Geländewagen zu seiner Kühlkammer. Dort holte er das gesamte Bargeld aus dem Versteck hervor, wuchtete Leiche Nummer vier aus dem Regal, packte den gefrorenen Körper in den Laderaum des Cadillac und machte sich auf den Weg nach Hause, sorgsam darauf bedacht, im dichten Schneetreiben nicht zu schnell zu fahren. Er passierte mehrere Räumfahrzeuge, aber sonst gab es kaum Verkehr. Donna hatte wohl recht gehabt, dass die Schulen heute früher schlossen.
Er fand das Haus so vor, wie er es verlassen hatte. Hansen fuhr den Wagen in die Garage, holte Dickson ins warme Haus und schloss das Garagentor, bevor er seine leblose Fracht die Treppe hinauftrug, den Leichensack entfernte und den steifen Körper neben Donna auf das Bett legte. Der Mann trug noch dieselben Klamotten wie vor zwei Jahren, als er ihn getötet hatte, doch jetzt ging Hansen zu seinem eigenen Kleiderschrank und holte eine Tweedjacke heraus, die er nie besonders gemocht hatte. Die Arme der Leiche waren an den Seiten festgefroren, also drapierte Hansen die Jacke kurzerhand über ihre Schultern. Er nahm seine Rolex ab und legte sie um das Handgelenk des Toten. Da er selber auch eine Uhr brauchte, nahm er die von Jason an sich und steckte sie in die Hosentasche.
Er holte die fünf Kanister Benzin, die er in der Garage gelagert hatte, ins Haus.
Weitere Kostenlose Bücher