Joe von der Milchstraße
herrschte Totenstille. Jegliche Aktivität schien erlahmt zu sein. Nicht einmal Fische waren in seiner näheren Umgebung zu sehen; sie schienen die schwarze Kathedrale und ihre Nähe zu meiden. Sie sind klug, dachte Joe. Wie Mali.
Er schaute noch einmal lange und versonnen das tote Gebilde an, die Kathedrale, die niemals lebendig gewesen war.
Er legte seine Taschenlampe zur Seite, beugte sich über den Topf, ergriff ihn fest mit beiden Händen und zog mit aller Kraft. Der Topf zerbrach in viele kleine Stücke; sie trieben sofort mit der Strömung ab. Mit leerem Blick starrte Joe auf die restlichen Scherben, die noch von den Korallen festgehalten wurden.
Er straffte seinen Körper, packte eines der hängengebliebenen Fragmente und bog es zur Seite; dahin, wo vorher der Topf gewesen war. Nach einiger Anstrengung gelang es ihm, die Scherbe aus dem Griff der Koralle zu befreien. Er umschloß sie fest mit der Hand, schwamm dann hastig an die Oberfläche zurück.
Das Keramikstück, mit dem er nach oben schwamm, hatte auf seiner Oberfläche die fehlenden zwei Felder aus der Bildergeschichte. Er hielt sie mit eisernem Griff umklammert.
Kaum an der Oberfläche angekommen, streifte er seine Maske ab und sah sich, noch während er im Wasser schwamm, beim Schein seiner Taschenlampe die beiden Bilder an.
»Was ist es?« rief Mali und schwamm mit langen Zügen auf ihn zu.
»Der Rest der Bildergeschichte«, sagte er krächzend.
Das erste Bild zeigte den großen, schwarzen Fisch, wie er den Mann verschlang. Auf dem zweiten und letzten Feld konnte man noch einmal den großen Fisch erkennen. Dieses Mal verschlang er einen Glimmung … den Glimmung! Sowohl der Mann als auch Glimmung verschwanden im Schlund des Fisches, um in seinem Magen zersetzt zu werden. Der Mann und Glimmung existierten nicht mehr. Nur der große, schwarze Fisch blieb übrig. Er hatte alles verschlungen.
»Diese Scherbe –« begann Joe und hielt im selben Moment inne. Auf der Scherbe schien noch etwas zu sein, das er auf den ersten Blick wohl übersehen hatte. Dieses Etwas erregte nun seine Aufmerksamkeit, zog ihn unwiderstehlich auf sich zu.
In das letzte Feld war eine Sprechblase oberhalb des Fischkopfes eingeritzt worden. In der Sprechblase stand etwas in seiner eigenen Sprache! Er schwamm noch immer auf der unruhigen Wasseroberfläche und las es mit einiger Mühe.
Das Leben auf diesem Planeten vollzieht sich unter Wasser, nicht auf dem Land. Lassen Sie sich nicht mit dem fetten Schwindler namens Glimmung ein! Der wahre Glimmung lebt in den Tiefen des Meeres.
Noch etwas stand in ganz kleinen Lettern am Rande des letzten Feldes.
Dies ist eine Meldung des Staatsdienstes.
»Verrückt!« sagte Joe zu Mali, die dicht neben ihm im Wasser schwamm. Er hatte den Wunsch, die Scherbe einfach fallenzulassen, sie wieder in das dunkle Wasser zurücksinken zu lassen, um sie nicht mehr zu sehen.
Mali klammerte sich von hinten an ihm fest und las über seine Schulter hinweg die Worte in der Sprechblase. »Ach du lieber Himmel!« sagte sie lachend. »Das ist ja wie bei den süßen Brötchen bei euch auf der Erde, in die kleine Zettel mit Sprüchen eingebacken sind.«
»Glücksbrötchen«, sagte Joe wütend.
»Ich habe einmal gelesen, daß jemand in einem chinesischen Restaurant auf der Erde, ich glaube, in San Francisco, beim Öffnen seines Glücksbrötchens einen Zettel fand mit dem Ratschlag: ›Lassen Sie ab von Unzucht und Hurerei!‹« Sie lachte herzlich. Dann griff sie seine Schultern und drehte sich so zu ihm herum, daß sie ihm ins Gesicht sah. Plötzlich wurde sie ganz ruhig und sagte mit ernster Stimme: »Es wird einen schrecklichen Kampf ausfechten, um die Kathedrale dort unten in der Tiefe zu behalten.«
»Sie will nicht nach oben«, sagte Joe. »Sie – die Kathedrale will unten bleiben. Diese Scherbe ist ein Teil von ihr.« Er ließ die Scherbe los; sie ging sofort unter. Sekundenlang starrte er auf die Stelle, an der sie eingetaucht war und wandte sich dann wieder Mali zu. »Die Kathedrale hat zu uns gesprochen«, sagte er. Es war ein düsterer Gedanke, ein Gedanke, vor dem er sich fürchtete.
»War der Topf nicht von der schwarzen Kathedrale?«
»Nein«, sagte Joe, »er war nicht von der schwarzen Kathedrale.« Sie alle, er, die anderen – Glimmung mußten das begreifen. »Ich glaube nicht, daß er das weiß«, sagte Joe. »Das Problem liegt nicht bloß beim Buch der Kalenden und dem, was sie als schicksalhaft voraussagen; es
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