Joe von der Milchstraße
ist auch nicht bloß ein technisches Problem.«
»Die Seele«, sagte Mali leise.
»Was?« fragte Joe mit zorniger Stimme.
»Ich glaube, ich habees nicht so gemeint«, sagte Mali nach einer Pause.
»Du hast auch verdammt recht damit, es nicht so gemeint zu haben«, sagte Joe. »Weil sie nicht lebendig ist.« Trotz der Botschaft auf der Scherbe, fügte er in Gedanken hinzu. Es ist nur eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Leben. Das Gesetz der Trägheit. Wie jedes physikalische Objekt bleibt sie, wo sie ist, bis eine Kraft, die stark genug ist, sie zu bewegen, auf sie einwirkt … und dann bewegt sie sich widerwillig. Jene Kathedrale dort unten stellt eine ungeheure Masse dar, und wir werden daran zerbrechen, sie von der Stelle bewegen zu wollen. Wir werden uns niemals davon erholen, keiner von uns, auch Glimmung nicht. Und – Sie wird unten bleiben, dachte er. Dort, wo sie jetzt ist. Eine Welt ohne Ende, wie sie in der Kirche sagen. Aber was für eine merkwürdige Kathedrale, dachte er dann, die Botschaften auf korallenverkrustete Töpfe schreibt. Es muß bessere Wege geben, auf denen sie mit uns, die wir hier oben an Land sind, in Verbindung treten kann. Aber eigentlich … Glimmungs Art der Kontaktaufnahme, eine Nachricht, die im Wasserbehälter einer Toilette auf der Erde schwimmt … das war genauso bizarr. Eine planetenweite Eigenheit, dachte Joe. Ein ethnischer Brauch, der sich vielleicht im Laufe von Jahrhunderten herausgebildet hatte.
»Sie wußten, daß du den Topf finden würdest«, sagte Mali.
»Wieso?«
»Es stand irgendwo im Buch der Kalenden. In einer Fußnote etwa in der Mitte des Buches.«
»Aber sie irrten sich zum Beispiel«, sagte Joe, »als sie behaupteten, ich würde etwas in der Kathedrale finden, das mich veranlassen würde, Glimmung zu töten. Es konnte also einfach ein Verdacht sein. In diesem Fall war es ein falscher.« Und doch ist es eingetroffen, dachte er. Ich fand den Topf.
Und eines Tages vielleicht, dachte er weiter, werden die Gezeiten der Realität Glimmung und mich zusammenführen, und schließlich werde ich ihn dann doch töten. Wenn genügend Zeit vergeht. Es ist tatsächlich so, überlegte er: Wenn genügend Zeit vergeht, wird alles irgendwann einmal passieren. In gewissem Sinne war das die Basis, auf der das Buch der Kalenden funktionierte.
Funktionierte – und doch nicht funktionierte.
Wahrscheinlichkeit, dachte Joe. Eine Wissenschaft für sich. Bernoullis Theorie, die Bayes-Laplace-Theorie, die Poisson’sche Distributionstheorie, die negative Binomialdistribution … Münzen und Karten und Geburtstage und schließlich Zufälligkeitsvariablen. Und über allem schwebend der brütende Geist von Rudolf Carnap und Hans Reichenbach, der Wiener Philosophiezirkel und die Entstehung der symbolischen Logik. Eine trübe Welt, in die er sich nicht verstricken wollte, obwohl sie unmittelbar mitdem Buch der Kalenden zu tun hatte. Sie war bei weitem trüber als das Wasser, das an ihm und Mali leckte.
»Laß uns wieder zu der Plattform zurückgehen«, sagte Mali, die vor Kälte zitterte. Dann schwamm sie ohne weitere Worte davon und ließ ihn allein. Weit hinten sah Joe die Lichter, die der Roboter Willis vor ihrem Abstieg für sie eingeschaltet hatte. Sie brannten noch immer; der Roboter wartete also noch auf sie.
Amalita hat uns nicht bekommen, dachte Joe, als er neben Mali auf die hellerleuchtete Taucherkammer zuschwamm. Gottseidank! Es war wirklich genauso schrecklich gewesen, wie Willis – und Mali – vorausgesagt hatten. Seine eigene Leiche … er sah sie noch immer vor sich, wie sie weiß und tot mit herunterhängendem Kiefer in der Strömung der aquatischen Sub-Welt umhertrieb. Amalitas Welt, mit ihren eigenen Gesetzen, voll von Abfall und halbtoten Wesen.
Er erreichte die beleuchtete Plattform mit ihren drei hermetisch verschlossenen Kuppeln. Willis stand schon bereit und half ihm aus dem Wasser.
Der Roboter schien gereizt, als er Joe und Mali aus den Taucheranzügen half. »Das war auch höchste Zeit!« sagte er, während er ihre Ausrüstungsgegenstände umständlich zusammenpackte. »Sie haben mir nicht gehorcht und sind zu lange unten geblieben! Äh, ich meine, Sie haben Glimmung nicht gehorcht«, verbesserte er sich.
»Was ist denn los mit dir?« fragte Joe verwundert.
»Ach, diese verdammte Radiostation!« sagte Willis mit klagender Stimme, während er sich an Malis Sauerstofftanks zu schaffen machte. Mit seinen starken Armen hob er sie – ohne die Spur einer
Weitere Kostenlose Bücher