Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Wohnung an, das es gibt. Die Dunkelheit will er verjagen.
Ich hab Gertrud weh getan, denkt er. Wie konnte das kommen?
Er geht zum Vorratsschrank und ißt Marmelade. Er schlürft sie in sich hinein, Löffel um Löffel.
Dann geht er in die Küche und mustert sich in dem gesprungenen Rasierspiegel.
Mirakelmann Joel Gustafson.
»Was soll ich machen?« fragt er das Spiegelbild. Was soll ich jetzt machen?
Dann meint er, Gertruds Gesicht im Spiegel zu sehen. Sie ist sehr traurig.
Allein in ihrer Küche. Auf der anderen Seite des Flusses…
9
Manche Tage waren schlimmer als andere.
Aber Joel konnte sich nicht daran erinnern, daß ihm sowas schon mal passiert war.
An diesem Tag ging alles schief.
Es hatte schon morgens angefangen, als er seinen einen Gummistiefel nicht finden konnte. Er hatte überall gesucht. Aber der Stiefel war weg. Wie konnte ein einzelner Gummistiefel verschwinden? Er suchte noch einmal, auch in der Vorratskammer. Kein Gummistiefel. Er sah auf der Küchenuhr, daß er zu spät zur Schule kommen würde, wenn er den Stiefel nicht innerhalb einer Minute fand. Aber kein Stiefel. Er war verschwunden.
Da zog Joel seine Halbschuhe an und begann, sie zuzubinden. Mit dem linken Schuh ging alles gut. Aber der Schnürsenkel am rechten Schuh riß ab. Bestimmt hatte eine Maus daran geknabbert. Er fluchte und zerrte am Schnürsenkel herum, schnitt ihn ab und versuchte, ihn durch die Ösen zu ziehen, die natürlich zu klein waren. Die Uhr an der Küchenwand ging schneller als vorher. Die Zeiger rannten förmlich über das Ziffernblatt.
Und natürlich kam er zu spät. Otto grinste ihm aus seiner Bank entgegen. Frau Nederström befahl ihm, zum Katheder zu kommen und zu erklären, warum er zu spät kam. »Der Schnürsenkel ist gerissen«, antwortete Joel.
Die Klasse lachte, und er hörte selbst, wie blöd das klang. So blöd, daß er selbst anfing zu kichern. Alle lachten, außer Frau Nederström. Nichts konnte sie so böse machen wie Lachen. Das hatte Joel auf der Seite in seinem Tagebuch aufgeschrieben, wo er merkwürdige Verhaltensweisen von Erwachsenen sammelte. Wütend auf Menschen zu werden, die lachen…
Joel versuchte, die Situation zu retten, und erzählte, daß der eine Stiefel verschwunden war. Aber das machte Frau Nederström nur noch wütender.
»Setz dich, Joel Gustafson«, sagte sie. »Wenn du weiter zu spät kommst, muß ich mit deinem Vater reden.« Das Mirakel hat sie vergessen, dachte Joel. Hätte ich gesagt, daß ich wegen des Mirakels zu spät gekommen bin, wäre sie bestimmt nicht wütend geworden… Der Tag hatte schlecht angefangen. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Joel hatte ganz vergessen, daß sie eine Hausaufgabe in Geographie aufgehabt hatten. Das war sein Lieblingsfach. In Geographie war er der Beste in der Klasse. Niemand wußte so viel über fremde Länder und Meere wie er. Aber diesmal ging es nicht um fremde Länder, sondern um Schweden. Darüber wußte Joel nicht sehr viel. Er hätte es lernen und im Atlas nachgucken müssen. Aber das hatte er vergessen. Er versuchte, ganz unbekümmert auszusehen, so, als wisse er die Antwort auf alle Fragen, die Frau Nederström stellte. Er nickte, wenn jemand von seinen Klassenkameraden antwortete. Sie sollte glauben, daß er wie immer das meiste wußte. Aber plötzlich stürzte sie sich mit einer Frage auf ihn. Als ob sie ein Habicht und er eine Taube wäre.
»Ich hab die Frage nicht verstanden«, sagte Joel. Er hatte sie verstanden. Wofür ist die Stadt Örebro berühmt? Er wußte es nicht. Er mußte nachdenken. Frau Nederström wiederholte die Frage.
Seine Klassenkameraden sahen ihn neugierig an. Joel spürte richtig im Nacken, wie Otto grinste.
Er dachte angestrengt nach. Örebro? Er konnte sich nicht mal erinnern, wo die Stadt liegt. Örebro, Örebro… Plötzlich fiel ihm eins der Sammelbilder aus den Hustenbonbonschachteln ein. War nicht einer der Ringer aus Örebro gewesen?
»Nun«, sagte Frau Nederström, »weißt du es, oder weißt du es nicht ?«
»Örebro hat einen der besten Ringerklubs von ganz Schweden«, sagte Joel.
Die Klasse brach in Gelächter aus. Frau Nederström wurde weiß vor Wut. »Du bist aufmüpfig, Joel Gustafson«, sagte sie. »Natürlich weißt du, daß Örebro für seine Schuhherstellung berühmt ist. Daran hättest du heute morgen denken sollen, als dein Schnürsenkel gerissen ist. Aber du willst nicht antworten. Du willst, daß ich böse werde, Joel Gustafson.« »Das wollte ich nicht«, sagte
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