Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Joel guckt auf den Fußboden und denkt daran, daß er in der Unterwelt gewesen ist. Die ganze Kirche hat er auf seinen Schultern getragen. So tief unten ist er gewesen, daß die dröhnende Orgel nicht mehr durchdrang…
Seine Gedanken springen. Verdammte Stadt Örebro. Und der Käsemann, der Gertrud traurig gemacht hat, weil er sich nicht gezeigt hat.
Ich muß was anderes tun, denkt Joel. So darf es nicht enden.
Der Käsemann muß einsehen, daß Gertrud die beste Frau ist, die er kriegen kann. Wer behauptet eigentlich, daß jeder Mensch eine Nase haben muß? Man kann auch ohne atmen. Orgel-Nisse hat einen Buckel. Aber Orgel spielt er besser als alle anderen. Der Käsemann muß kapieren, daß die Nase, die Gertrud nicht hat, sie zu etwas ganz Besonderem macht…
Joel lauscht der Orgel. Jetzt spielt Orgel-Nisse ein ganzes Stück, ohne Unterbrechung.
Musik, denkt Joel. Kringströms Orchester, das samstags zum Tanz im Gemeindehaus aufspielt. Dort müssen der Käsemann und Gertrud sich begegnen. Ich muß neue Briefe schreiben. Ich lasse Gertrud ein Geschenk an den Käsemann schicken. Es war falsch, daß ich ihre Verabredung beim Vogelbad im Garten des Pferdehändlers getroffen habe.
Es ist gut, an Gertrud und den Käsemann zu denken. Dann fühlt er nicht mehr Frau Nederströms Krallen in seinem Ohr. Es ist gut, an etwas ganz anderes zu denken. Er geht zurück zur Schule und holt sein Fahrrad, das er da vergessen hat. Wie kann man eigentlich sein Fahrrad vergessen? Das ist genauso merkwürdig, wie daß ein Gummistiefel verschwinden kann.
Als er nach Hause kommt, findet er den Stiefel sofort. Er ist unter ein paar Holzscheite geraten, die Samuel gestern abend heraufgeholt hat. Joel nimmt den Stiefel und schmeißt ihn gegen die Wand. Eigentlich schmeißt er ihn Frau Nederström an den Hintern.
Wenn sie mich nächstesmal ins Ohr kneift, kneif ich sie auch, denkt er. Ich werde einen Geheimbund gründen, der zum Ziel hat, alle auszurotten, die kneifen. Weg mit den Kneifern!
Er holt sich neues Briefpapier aus Samuels Zimmer. Als er sich auf seinem Bett zurechtgesetzt hat, weiß er plötzlich nicht mehr, ob er an Gertrud oder an den Käsemann mit links geschrieben hatte. Er muß lange nachdenken, ehe es ihm einfällt.
Jetzt schreibt er Briefe, ohne in den Gedichtbänden aus der Bibliothek zu blättern.
»Komm zum Tanzen Samstag im Gemeindehaus«,
läßt er den Käsemann an Gertrud schreiben. »
War das letztemal verhindert«,
fügt er nach einigem Zögern hinzu. Er weiß auch nicht, wie er den Brief unterschreiben soll. Schließlich entscheidet er sich für
»Dein Geliebter«.
Er klebt den Umschlag zu und schreibt
»Gertrud«
drauf.
Mit Nachnamen heißt sie Häkanson. Aber das schreibt er nicht. Der Vorname reicht.
Bevor er Gertruds Brief an den Käsemann schreibt, braucht er eine Stärkung. Er trinkt Milch und schmiert sich zwei große Butterbrote. Die Marmelade ist in den vergangenen Tagen besorgniserregend weniger geworden. Er begnügt sich lieber mit ein paar Scheiben Wurst. Dann geht er in Samuels Zimmer und sucht im Schrank nach einem Geschenk, das Gertrud dem Käsemann schikken kann. In Samuels Schrank muß es irgendwas geben, das er nie benutzt und auch nicht vermissen wird. Dort hängt Mama Jennys Kleid.
Komm wieder, denkt Joel. Komm wieder und hol dir dein Kleid. Komm wieder und erzähl mir, warum du weggegangen bist. Warum wir nicht gut genug waren, Samuel und ich…
Er läßt das Kleid los. Heute löst es keine guten Gedanken in ihm aus, wie sonst, wenn er es in Samuels Schrank hängen sieht. Es anzufassen, zu fühlen.
Er sucht weiter. Schließlich findet er einen Schlips, den Samuel noch nie getragen hat. Er ist grün. Den kann der Käsemann kriegen. Samuel wird nicht mal merken, daß der Schlips weg ist.
Joel setzt sich an den Küchentisch und bereitet einen Umschlag vor, der groß genug ist, daß Brief und Schlips hineinpassen. Er nimmt einen kleinen Umschlag auseinander, um zu sehen, wie er zusammengesetzt ist. Dann schneidet und klebt er einen größeren Umschlag aus einem Stück braunem Einwickelpapier zusammen. Der weiße Kleister schmiert, und an den Rändern wird der Umschlag nicht ganz gleichmäßig. Aber es muß genügen. Er hat auch kein Einwickelpapier mehr.
Dann schreibt er den Brief von Gertrud an den Käsemann.
»Ich komme Samstag zum Gemeindehaus. Hoffentlich gefällt Dir der Schlips. Ich hab ihn in Hull gekauft. Die Deine…«
Joel guckt auf Samuels Seekarte nach, wie sich die
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