Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Samuel bei ihm gewesen war und ihm gute Nacht gesagt hatte, rollte Joel sich zusammen und machte die Augen zu. Jetzt liegt er nicht mehr im Bett. Es ist ein Sommermorgen, kurz nach Schulabschluß. Er sitzt vorn neben Simon Urväder, und sie sind auf dem Weg zum See der Vier Winde. Simon riecht nicht mehr schlecht. Er ist frisch gebadet und sauber. Bald hält er den Laster an und läßt Joel aussteigen. Nach dem geheimen Baum muß Joel allein suchen. Simon ist nur sein Chauffeur. Er gehorcht Joel und befolgt den kleinsten Wink. Ein Fenster im Laster ist geöffnet, und ein Schmetterling fliegt herein und umkreist Joels Gesicht. Das ist kein gewöhnlicher Schmetterling. Bald wird Joel entdecken, daß sich das Muster auf seinen Flügeln nicht aus zufälligen Farben zusammensetzt. Auf den Flügeln steht etwas geschrieben. Eine rätselhafte Botschaft, in welche Richtung er gehen muß, um den geheimnisvollen Baum zu finden. Joel verfolgt die Bewegungen der Schmetterlingsflügel. Bald wird er verstehen, was diese Flügel erzählen… Joel schläft.
Der Käsemann kann ihn in seinen Träumen nicht erreichen. Große Schmetterlingsschwärme behüten Joels Schlaf. Samuel kommt in das dunkle Zimmer getappt und deckt Joel gut zu.
Dann läßt er die Küchentür einen Spalt offenstehen, so daß ein schmaler Lichtstreifen über den Fußboden fließt, bis hin zu Joels Gesicht…
Zwei Tage später ist Samstag. Joel ist früh aufgewacht. Obwohl ihn niemand geweckt hat.
Er weiß sofort, daß Samstag ist und daß er frei hat. Er zieht die Decke über den Kopf und versucht sich vorzustellen, es sei Sonntag. Daß Samstag ein Tag ist, den es nie gegeben hat. Ein übersprungener Tag, den niemand vermissen würde. Aber als Samuel anfängt, in der Küche mit der Kaffeekanne zu klappern, ist es immer noch Samstag. Joel richtet sich im Bett auf.
Was soll ich bloß tun, denkt er. Soll ich heute abend hingehen und mich hinterm Holzschuppen verstecken? Oder soll ich alles vergessen?
Er steht auf und zieht sich an. In der Unterhose und in einem der Strümpfe ist ein Loch. Als er das Rollo hochzieht, sieht er, daß wieder Rauhreif liegt. Rotes Laub leuchtet gegen all das Weiß.
Draußen in der Küche murmelt und brummt es. Samuel versucht, einen Hemdenknopf zuzuknöpfen. Er und Sara wollen eine Autotour machen. Sie wollen einen Freund von Samuel besuchen, der heute vierzig wird. Das Auto hat Samuel sich vom Rausschmeißer Nyberg geliehen. Sara hat dafür gesorgt, daß es auch klappt. Eigentlich hätte Joel mitfahren sollen. Aber er hat gesagt, daß er zu Hause bleiben will. Er weiß immer noch nicht, ob er sich hinter Pferdehändler Unders Holzschuppen verstecken soll oder nicht. Auf alle mögliche Weise hat er versucht, sich zu entscheiden. Er hat versucht, ob er den kürzeren gegen sich selbst zieht. Er hat Strohhalme vorbereitet, dreimal hintereinander den kürzeren bedeutete Holzschuppen. Sonst pfeift er drauf hinzugehen. Aber er hat kein richtiges Vertrauen in dies Spiel. Er hat sich Samuels Kartenspiel geliehen und versucht, die Karten auf verschiedene Weise abzuheben, um sich entscheiden zu können. Von zehn Karten müssen mindestens vier Buben sein. Dann wird er sich hinterm Holzschuppen verstecken. Aber auch das gelang nicht. Er hat Pflastersteine gezählt und ist über Pflasterfugen gehüpft. Trotzdem kann er sich nicht entscheiden. Deswegen hat er Samuel gesagt, er möchte lieber zu Hause bleiben, statt mit dem Auto wegzufahren. »Ich arbeite gerade ein Spiel aus«, hat er gesagt. »Ich wollte es Montag mit in die Schule nehmen und Frau Nederström zeigen.«
Sara hat ihm Pfannkuchen gebacken. Sie stehen auf einem Teller in der Vorratskammer. Damit soll er sich trösten, weil er keine Torte auf der Geburtstagsfeier kriegt. »Komm mal her und binde mir den Schlips!« ruft Samuel aus der Küche.
Es ist der blaue Schlips. Der Seemannsschlips. Den Samuel in Glasgow gekauft hat. Der Seidenschlips. Joel kniet auf einem Stuhl und bindet den vertrackten Knoten. Samuel riecht nach Rasierwasser. Er summt vor sich hin, während er den Kopf zurückbeugt, damit Joel den Schlips knoten kann. »Danke«, sagt Samuel, als Joel fertig ist. »Das Taschengeld«, sagt Joel.
»Hast du's noch nicht gekriegt?« fragt Samuel mit gerunzelter Stirn.
Das sagt er jeden Samstag.
Hast du's noch nicht gekriegt?
Dann lächelt er, holt sein Portemonnaie hervor und gibt Joel eine Krone.
Joel geht mit hinunter, um zu sehen, wie Samuel in Nybergs Auto davonfährt. Es
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