Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
wußte, daß Kringström allein lebte. Er war viele Male verheiratet gewesen und hatte sich wieder scheiden lassen. Ihn umgab das Gerücht, er sei verrückt nach Mädchen, obwohl er schon über fünfzig war und fast eine Glatze hatte. Man munkelte sogar darüber, er hätte etwas mit der gefürchteten Eulalia Mörker gehabt.
Aber jetzt lebte er wieder allein. Joel betrat die Wohnung und dachte, er sei in ein Musikgeschäft geraten. Überall lagen Schallplatten herum. In der Mehrzahl waren es alte Schellack-Platten in braunen Tüten. Aber es gab auch Langspielplatten und kleine Singles. Die Wände waren mit Regalen bedeckt. Wo sich keine Schallplatten drängten, lagen Instrumentenfutterale. Joel folgte Kringström durch die Wohnung. Da war das Zimmer im Zimmer. Mittendrin, wie ein Fahrkartenschalter, ohne Fenster. Nur eine Tür. Kringström schob einen Stapel Schallplatten auf einem Stuhl beiseite und sagte, Joel solle sich setzen.
Joel sagte, wie er hieß. Er versuchte, so höflich wie möglich zu sein.
»Saxophon«, sagte Kringström und kratzte sich an der Nase. »Warum willst du nicht Gitarre spielen lernen wie alle anderen ?«
»Ich finde, das Saxophon klingt am schönsten«, sagte Joel.
»Fast wie eine Orgel.«
Kringström nickte.
»Und du willst, daß ich es dir beibringe?« fragte er. »Ja«, sagte Joel.
Kringström seufzte. »Ich hab doch keine Zeit«, sagte er. »Aber in diesem Kaff bin ich wahrscheinlich der einzige, der Saxophon spielen kann.«
»Wir brauchen ja nicht sofort anzufangen«, sagte Joel. »Ich hab noch gar nicht genug Geld, um mir ein Saxophon zu kaufen.«
Kringström breitete die Arme aus. »Ein Saxophon kannst du von mir leihen«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, ob ich es dir beibringen kann, obwohl ich es selbst spiele.« Er beugte sich über das goldschimmernde Saxophon, das auf dem Fußboden lag, und reichte es Joel.
»Blas mal rein«, sagte er. »Versuch, ob du es zum Klingen bringen kannst!«
Joel nahm das Mundstück in den Mund und blies. Es zischte nur. Er versuchte es wieder, blies, was er konnte. Nun piepste es ein bißchen, als ob jemand einer Katze auf den Schwanz getreten hätte.
Kringström schüttelte den Kopf. »Gib mir mal«, sagte er. Und er spielte. Er blies, daß es im Zimmer dröhnte. Die Fensterscheiben bebten. Die Töne hüpften auf und ab, als ob sie auf Treppen herumrasten.
Mitten in der Melodie klopfte jemand gegen die Wand. Kringström hörte sofort auf.
»Die verstehen nichts von meiner Musik«, sagte er düster.
»Wir könnten bei mir zu Hause üben«, sagte Joel. »Unter uns wohnt eine Frau, die ist fast taub.«
»Ich werd drüber nachdenken«, sagte Kringström. »Wir legen uns nicht sofort fest.«
Jetzt war es soweit. Jetzt mußte Joel die wichtigste Frage stellen.
»Darf ich hinter euch sitzen und zuhören?« fragte er. »Wenn das Orchester spielt?«
»Klar darfst du das«, sagte Kringström. »Aber wir spielen erst Samstag.«
»Im Gemeindehaus«, sagte Joel. »Darf ich hinten sitzen und zuhören ?«
Kringström lächelte. »Wenn du uns hilfst, die Instrumente reinzutragen«, sagte er.
»Wann soll ich da sein?« fragte Joel. Er spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Der Plan war geglückt!
»Komm um halb acht zum Hintereingang«, sagte Kringström. »Aber jetzt mußt du gehen. Ich muß wieder ins Paradies.«
Paradies? Erst als Kringström auf den kleinen schalldichten Raum zeigte, begriff Joel.
»Das ist mein Paradies«, sagte Kringström. »Dort gibt es nur die Musik. Und mich.«
Joel fuhr nach Hause. Geronimo Gustafson hatte den ersten Schritt zum großen Plan ausgeführt. Samstag würde er das Fort einnehmen. Er dachte an Kringström und sein Paradies.
Er stellte sich vor, wie er selbst die Plakate im Schaukasten vom Gemeindehaus anklebte. Joel Gustafsons Orchester spielt zum Tanz auf…
Jetzt trägt er nicht mehr seine schäbige Jacke. Jetzt trägt er etwas Silberglänzendes. Weiße Schuhe. Er gibt stampfend den Einsatz. Auf der großen Baßtrommel steht in kunstvoll verschnörkelten Buchstaben »JGO«. Joel Gustafsons Orchester …
Den ganzen Abend denkt er daran, was Samstag passieren wird. Er geht zu Papa Samuel, der die Zeitung liest und dem Meeresrauschen aus dem Radio lauscht. »Kannst du tanzen ?« fragt er.
Samuel läßt die Zeitung fallen. »Natürlich kann ich tanzen«, sagt er erstaunt. »Das kann doch jeder!« »Ich nicht«, sagt Joel.
»Das lernst du in ein paar Jahren«, sagt Samuel. »Kann Eva-Lisa es dir
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