Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
summte vor sich hin. Er stand in einer kleinen Wasserpfütze und rasierte sich.
»Heute essen wir bei Sara«, sagte er zufrieden. »Dann gehen wir tanzen. Du kannst bei ihr zu Hause bleiben und Radio hören, wenn du willst.«
»Nein«, sagte Joel.
»Warum nicht«, sagte Samuel. »Sara kann gut kochen, besser als du und ich zusammen.«
»Ich will nicht«, sagte Joel.
Da wurde Samuel ärgerlich. Oder irritiert. Joel kannte den Unterschied nicht genau.
»Ausnahmsweise wird das getan, was ich sage«, sagte Samuel.
»Nein«, sagte Joel und leerte die Badewanne. Er goß einen Eimer Schmutzwasser nach dem anderen in den Abfluß der Spüle.
»Was willst du denn essen?« fragte Samuel.
Ich werde verhungern, dachte Joel.
Aber er sagte es natürlich nicht.
»Ich mach mir selbst was«, sagte er statt dessen. »Du hast doch gesagt, daß ich schon so selbständig bin. Oder etwa nicht?«
»Das hab ich vielleicht gesagt«, antwortete Samuel. »Ich begreif bloß nicht, warum es so schwer geworden ist, mit dir umzugehen.«
Joel gab keine Antwort.
Samuel war auch still.
Noch eine Stille, dachte Joel. Wieder eine andere als die im Wald oder in der Unterwelt.
Um sechs band Joel Papa Samuel den Schlips. »Und du willst wirklich nicht mitgehen?« fragte Samuel noch einmal.
»Ich möchte am liebsten zu Hause bleiben«, antwortete Joel.
»Mach, was du willst«, sagte Samuel. Dann ging er. Joel winkte ihm nicht nach. Er ging geradewegs in sein Zimmer. Dort legte er sich auf sein Bett und zog sich die Decke über den Kopf. In eineinhalb Stunden sollte er an der Hintertür vom Gemeindehaus sein. So hatten sie es verabredet. Aber jetzt wurde nichts draus.
Er richtete sich heftig auf. »Teufel!« schrie er. Dann legte er sich wieder hin, den Kopf unter der Decke. Warum läuft alles verkehrt, dachte er. Man macht es richtig. Und trotzdem wird es verkehrt. Warum ist das Leben so anstrengend?
Er stand auf. Es wurde ja nicht besser, wenn er im Bett lag und sich die Decke über den Kopf zog. Er sah auf die Küchenuhr. Siebzehn Minuten nach sechs.
Ich pfeif drauf, dachte er. Der Käsemann und Gertrud müssen ohne mich klarkommen. Und wenn es Gott gibt, bleibt er ohne Dank für das Mirakel. Er kann mir die Polizei auf den Hals schicken, wenn er will. Mir, Joel Gustafson, ist das egal…
In diesem Augenblick beschloß er, sich zu verkleiden. Er könnte sich ja so maskieren, daß ihn niemand erkannte. Er könnte sich hinter dem dicken Schlagzeuger verstecken, der Holmström hieß. Der dickste Mann im ganzen Ort. Der fetteste Schlagzeuger der Welt.
Er sah wieder auf die Uhr. Vierundzwanzig Minuten nach sechs. Jetzt fluchte er, weil er nicht eher draufgekommen war.
Joella, dachte er. Ich verkleide mich als Mädchen. Zu Kringström kann ich ja sagen, daß mein Bruder Joel leider krank geworden ist. Aber ich möchte auch gern lernen, Saxophon zu spielen…
Es geht nicht, dachte er im nächsten Moment. Ich kann doch nicht Mama Jennys Kleid anziehen. Und was anderes gab es nicht.
Er sah wieder auf die Uhr. Fast halb sieben. Als es zehn nach sieben war, hatte er immer noch keine Idee, wie er sich verkleiden sollte. Jetzt mußte er gehen. Noch einmal beschloß er, zu Hause zu bleiben. Aber kaum hatte er die Decke über den Kopf gezogen, hüpfte er wieder aus dem Bett. Er mußte gehen! Er holte Samuels Hut aus dem Schrank, den er einmal in Hüll gekauft hatte. Den drückte er sich auf den Kopf. Dann nahm er Samuels Ersatzbrille und ließ sie auf der Nase baumeln. Das war alles. Er stürmte die Treppe hinunter und hinaus in den kühlen Abend. Bald ist es Winter, dachte er. Bald kommt Schnee.
Er lief so schnell, daß er Seitenstiche kriegte. Er mußte stehenbleiben und Luft holen. Dann lief er weiter. In dem Augenblick, als er die Kirchturmuhr zweimal schlagen hörte, war er beim Gemeindehaus. Kringströms großer Ford war rückwärts auf den Hof gefahren. Die Orchestermitglieder waren dabei, die Instrumente auszuladen. Der fetteste Schlagzeuger der Welt trug die große Baßtrommel vor sich her, als ob er einen zweiten Bauch hätte. Auf dem Autodach balancierte der Bassist herum und löste die Taue vom Kasten der Baßgeige. Joel wußte, daß er Rost hieß. Aber war das ein Vorname oder ein Nachname? In dem Augenblick kam Kringström mit Direktor Engman aus der Hintertür. Joel blieb stehen, als er hörte, daß die beiden sich stritten.
»Natürlich müssen wir eine Glühlampe in unserem Umkleideraum haben!« brüllte Kringström. »Sollen
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