Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Samuel. Er zerstörte seine ganze Freude.
Joel setzte seine Mütze auf und ging die Treppe hinunter. Es war egal, dass sie knarrte.
Dann lief er durch die leeren Straßen und suchte nach Samuel.
Es war, als ob er nach einem Schiff suchte, das an einem unbekannten Ufer gestrandet war. Wenn Samuel trank, war er wie ein Schiffbrüchiger.
Joel brauchte nicht lange zu suchen. Am Hügel zum Bahnhof hinauf sah er einen Schatten angewankt kommen. Es war Samuel, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Joel lief auf ihn zu. Sie trafen sich genau unter einer Straßenlaterne. Samuels Augen waren blutunterlaufen. Er war betrunken. Aber Joel bemerkte noch etwas anderes. Samuel war traurig. Da musste etwas passiert sein.
»Kommst du mir entgegen?«, fragte Samuel lallend. »Ja«, sagte Joel. »Und jetzt gehen wir nach Hause.« Er packte Samuel und begann ihn zu stützen. Er hatte seinen schiffbrüchigen Vater wieder gefunden.
11
Joel kochte Kaffee.
Es hasste alles, was mit Branntwein zu tun hatte. Branntwein würde er niemals trinken. Das brauchte er nicht mal als Neujahrsgelübde auszusprechen. Ihm reichte es zu sehen, was mit Samuel passierte.
»Absolut reiner Branntwein« stand auf den Flaschen, die Joel versteckt im Haus fand. Er hatte sie in der Holzvorratskiste gefunden und zwischen den Winteräpfeln, die sie in einem Behälter in der Vorratskammer verwahrten. Einmal hatte er auch eine Branntweinflasche in der Kommode gefunden, wo sie ihre Bettbezüge hatten.
Irgendwo hatte er gelesen, dass der große Indianerhäuptling Geronimo Branntwein »Feuerwasser« genannt hatte. Aber Joel wusste, was es in Wirklichkeit war. Schnaps machte Samuel zu einem Schiffbrüchigen. Der Schnaps nahm dem Seemann das Schiff weg. Und Samuel war und blieb Seemann, obwohl er in den Wald ging und Bäume fällte.
Joel kochte einen starken Kaffee. Er wusste, dass Samuel davon nüchtern wurde. Währenddessen saß Samuel schwankend am Küchentisch. Irgendwo unterwegs musste er gefallen sein. Das eine Hosenbein war nass und schmutzig. Joel wollte nicht fragen, wo er gewesen war. Wenn Samuel trank, besuchte er Leute im Ort, die nichts anderes taten als an Land zu treiben wie Schiffbrüchige.
Joel hatte immer noch Magenschmerzen. Aber es war leichter geworden, seit er Samuel gefunden hatte. Am meisten Angst hatte er davor, Samuel könnte hinfallen und in einem Schneehaufen einschlafen.
Obwohl Samuel so viel Schnaps in all den Jahren getrunken hatte, hatte er sich nie abgehärtet.
Joel wollte wissen, was passiert war. Warum hatte Samuel wieder angefangen zu trinken? Es war doch so lange gut gegangen?
Aber erst musste Samuel seinen Kaffee bekommen. Er goss eine Tasse voll ein und stellte sie vor Samuel auf den Tisch. Drei Stücke Zucker hatte er hineingetan.
Samuels Augen waren sehr rot. Joel saß ihm gegenüber am Tisch. Es war der Schnaps, der in Samuels Augen rot leuchtete. Das Feuerwasser hatte gebrannt und jetzt war noch die Glut davon übrig, tief in Samuels Augen. »Es tut mir furchtbar Leid«, sagte Samuel. »Mir auch«, antwortete Joel wütend.
Samuel schlürfte den Kaffee. Er hielt die Tasse mit beiden Händen. Joel wartete, bis er sie wieder abgestellt hatte.
»Was ist los?«, fragte er.
»Nichts«, antwortete Samuel.
Joel fragte nicht weiter. Er wusste, dass Samuel ihm früher oder später erzählen würde, was passiert war. Es konnte schnell gehen, aber es konnte auch seine Zeit dauern. Aber früher oder später, wenn der Schnaps verflogen war, würde er reden.
Währenddessen saß er am Küchentisch und träumte. Er dachte an Sonja Mattsson und ihre angezogenen Beine. Wenn Samuel nicht gewesen wäre, mit dem er sich abschleppen musste und für den er die Verantwortung hatte, könnte er zu ihr ziehen. Bei ihr würde er auf der Gitarre üben, die Simon Urväder ihm hoffentlich leihen würde. Bei ihr duftete es nach Parfüm und nicht nach nasser Wolle.
»Es ist wegen Sara«, sagte Samuel plötzlich.
»Was ist mit ihr?«
»Sie will nicht mehr.«
Joel verstand immer noch nicht, was passiert war. Samuel hob den Kopf, der irgendwie lose an seinem Hals zu hängen schien. Wie ein Blatt am Herbstbaum. Ein Blatt, das bald fallen würde.
»Sie hat mich abgeholt, als ich aus dem Wald kam«, sagte Samuel. »Und sie hat gesagt, dass sie sich gedacht hat … dass es wohl besser wäre, wenn wir uns nicht mehr treffen.«
Sie hat also Schluss gemacht, dachte Joel. Das war die Erklärung. Aber er verstand es trotzdem nicht. Samuel
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