Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
Morgenchoral fertig waren. »Warum warst du gestern nicht in der Schule?«, fragte sie streng.
»Ich war krank«, antwortete Joel.
Sie wurde ganz weiß vor Zorn. »Willst du mir geradewegs ins Gesicht lügen?«, schrie sie. »Der Oberlehrer hat dich gestern Morgen beim Kiosk gesehen.«
Joel überlegte rasch, ob er sagen sollte, er sei auf dem Weg zum Arzt gewesen. Aber er ließ es. Das war nur allzu leicht nachzukontrollieren. Darum sagte er nichts. Er sah auf den Fußboden. Hinter ihm saß die Klasse in angespanntem Schweigen. Sehen konnte er es nicht. Aber er wusste, dass es so war. Und Otto grinste.
»Du hast geschwänzt«, sagte Frau Nederström. »Und das nicht zum ersten Mal.«
Joel starrte weiter zu Boden.
»Hast du mir nichts zu sagen?«
Was sollte er sagen? Niemand würde es verstehen. Am allerwenigsten Frau Nederström. Er schwieg weiter.
»Du wirst heute nachsitzen«, sagte Frau Nederström. »Jetzt kannst du dich setzen.«
Joel kehrte zu seinem Platz zurück. Er versuchte zu vermeiden Otto anzusehen. Die Vorstellung, sein grinsendes Gesicht zu sehen, war ihm unerträglich.
Gleichzeitig war er froh, dass er nicht vergessen hatte, den Katalog mit den Weihnachtszeitschriften mitzubringen. Aber er fragte sich, wie viel Otto dafür verlangen würde, dass er ihn einen Tag zu spät zurückgab.
Darauf bekam er in der ersten Pause eine Antwort. Otto kam auf ihn zugestürmt.
»Ich krieg noch drei Kronen«, sagte er. »Du hättest den Katalog gestern zurückgeben müssen.«
Joel gab ihm den Katalog. »Ich hab eine Zeitung an die Kusine von meinem Papa verkauft«, sagte er. »Und gestern war ich krank.«
Otto sah aus, als wollte er sich prügeln. »Du hast geschwänzt«, sagte er. »Du bist nicht krank gewesen. Und ich krieg drei Kronen.«
Plötzlich hatte Joel genug von allem. Da war die Sache mit Samuel. Und all das, worüber er nachdenken musste. Er stürzte sich geradewegs auf Otto, als ob der eine Tür wäre, die sich nicht öffnen ließ. Sie fielen hin. Sofort bildete sich ein Kreis um sie. Und dann prügelten sie sich. Otto war der Stärkere. Aber Joel war so wütend, dass er plötzlich Kräfte hatte, die er eigentlich nicht besaß.
Die Prügelei fand ein Ende, als der Oberlehrer und Frau Nederström die beiden endlich trennten.
Beide kriegten eine Ohrfeige vom Oberlehrer. Es klatschte auf der Haut und begann zu brennen.
Der Oberlehrer starrte Joel an.
»Nicht genug damit, dass du schwänzt«, sagte er. »Wenn du wiederkommst, prügelst du dich auch noch.« »Er hat angefangen«, sagte Otto.
Joel antwortete nicht. Die Wut war aus ihm herausgeflossen. Jetzt war er nur noch müde. Am liebsten wäre er einfach weggegangen. Am liebsten hätte er die Schule hinter sich gelassen und wäre nie wiedergekommen.
Aber das Ende vom Ganzen war, dass sie beide nachsitzen mussten. Otto eine Stunde, Joel zwei. Da sie beide eine schlechte Handschrift hatten, mussten sie Schönschreiben üben. Nach einer Stunde verschwand Otto.
Frau Nederström saß am Katheder und las eine Illustrierte. Und Joel schrieb. Aber die Buchstaben wollten nicht gleichmäßig werden.
Schließlich sah sie auf die Uhr und klappte die Illustrierte zu.
»Du kannst jetzt gehen«, sagte sie. »Aber komm erst mal zu mir.«
Joel tat, was sie verlangte.
»Ich glaube nicht, dass du ohne Grund schwänzt«, sagte sie. »Willst du mir immer noch nicht erzählen, warum du das getan hast?«
Eigentlich wollte er es wohl. Erklären, was für ein Gefühl das war, wenn Samuel sich betrank. Aber er sagte nichts. Er konnte nicht.
Frau Nederström seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich werde nicht klug aus dir«, sagte sie. »Aber jetzt darfst du gehen.«
Joel ging. Eigentlich hätte er die Gitarre holen und zu Kringström gehen müssen. Aber er hatte keine Kraft. Er war müde und traurig. Er fühlte sich so allein und war alles überdrüssig. Das Leben war anstrengend und die Stiefel waren zu eng. Er ging zum Fluss hinunter und folgte dem Pfad, der sich am Flussbett entlangschlängelte. Blieb bei den Felsen stehen, bei denen er vor ein paar Jahren häufig gespielt hatte. Jetzt ging er fast nie mehr hin. Plötzlich sehnte er sich zurück. Als er elf Jahre alt gewesen war, war das Leben auch anstrengend gewesen, aber anders.
Jetzt konnte er sich nicht mehr einfach wegträumen. Wenn er jetzt in den Fluss starrte, sah er keine Krokodile. Es waren nur Baumäste.
Das war eigentlich das Schwerste.
Dass er keine Krokodile mehr sah. Nur
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