Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
hab welche. Wenn man ein Orchester leitet, muss man eingerichtet sein wie eine Autowerkstatt. Reserveteile für alle Instrumente parat haben.«
Er suchte neue Saiten hervor. Joel sah zu, wie er die alten abnahm und die neuen einspannte. Dann nickte Kringström zum Klavier hin. »Schlag mal ein A an«, sagte er.
Joel wusste nicht, wo dieser Ton auf dem Klavier war. Er musste fragen.
»Die nächste weiße vor der letzten der drei schwarzen Tasten«, sagte Kringström. Seine Stimme klang nur ein bisschen irritiert.
Joel schlug mit dem Finger darauf.
»Du brauchst nicht zu hämmern«, sagte Kringström. Joel schlug die Taste noch einmal an. Diesmal weicher. Und Kringström stimmte die Saiten. Dann gab er Joel die Gitarre. Und sie begannen zu üben.
Nach einer Stunde taten Joel Finger, Rücken und Handgelenke weh. Er dachte, das würde er nie schaffen. Oder er würde auf dem Friedhof landen, bevor er auch nur einen einzigen von Elvis' Songs spielen konnte. Kringström zog an seinen Fingern, befahl ihm, die Handgelenke mehr zu drehen und fester zu drücken. Die Saiten schnitten ihm in die Fingerspitzen.
»Du lernst es schon noch«, sagte Kringström, als die Stunde vorbei war. »Aber es wird eine Weile dauern.« Er sagte Joel, was er bis zum nächsten Mal lernen sollte. »Mehr als zweimal in der Woche schaffe ich nicht«, sagte Kringström. »Und dann müssen wir uns einig werden, wie du bezahlst.«
Joel wurde es ganz kalt. Wollte Kringström dafür bezahlt haben? Er hatte gedacht, der tat das, weil es ihm Spaß machte.
Kringström sah, wie erschrocken Joel war. Sein Gesicht zerfloss in einem breiten Lächeln. Das hatte Joel noch nie gesehen. Dass Kringström fröhlich aussehen konnte. »Du kannst mir putzen helfen«, sagte er. »Ich will kein Geld. Aber du kannst die Platten und Notenständer abstauben. Und abwaschen, wenn nötig. Kannst du abwaschen?« »Ja«, sagte Joel. »Und ich kann auch putzen.«
»Das können Jungen sonst nicht«, sagte Kringström. »Aber ich kann das«, sagte Joel.
Kringström nickte. »Dann machen wir es so. Heute musst du noch nicht. Aber beim nächsten Mal fangen wir an. Eine Stunde mit der Gitarre, eine Stunde mit der Tassenbürste und dem Staubtuch in der Hand.«
Joel steckte die Gitarre in die Hülle und zog sich an. Kringström hatte schon eine neue Platte aufgelegt und begann zu spielen. Diesmal stand er hinter einer großen Bassgeige. Joel blieb an der Tür stehen und sah ihn an. Lauschte. Kringström spielte und schien schon vergessen zu haben, dass Joel da war.
Als Joel das Haus verließ, tauchte der Windhund plötzlich hinter der Ecke auf. Joel hatte ein Gefühl, als habe sie auf ihn gewartet. Sofort war er auf der Hut. Was wollte sie jetzt? »Kannst du nun Gitarre spielen?«, fragte sie.
»Ist doch klar, dass es eine Weile dauert«, sagte Joel. »Das mit den Handgelenken und den Fingern und allem. Was meinst du, wie viele Töne man lernen muss?«
Joel setzte sich in Bewegung. Sie folgte ihm. Sie will irgendwas, dachte Joel. Aber ich frag sie nicht.
Schweigend gingen sie den Hügel hinunter. Hin und wieder lief sie ein paar Meter, umkreiste Joel. Sie war wirklich wie ein Hund. Konnte niemals still stehen.
»Warum hast du nicht die Wahrheit gesagt?«, fragte sie plötzlich.
Joel blieb stehen. Was meinte sie damit?
»Dass du nicht in die Schule gekommen bist, weil dein Vater besoffen war.«
Joel starrte sie an. »Das war er ja gar nicht.«
»Was war er denn?«
»Er war krank.«
Joel spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen schoss. Niemand durfte behaupten, sein Papa sei besoffen gewesen. Auch wenn es stimmte. Und wie konnte der Windhund davon wissen?
»Wenn du die Wahrheit gesagt hättest, hättest du nicht nachsitzen müssen«, sagte sie. »Und du hättest es nicht in der Klasse sagen müssen, du hättest es in einer Pause sagen können.«
»Mein Papa war krank«, sagte Joel und ging weiter. Der Windhund folgte ihm beharrlich. Joel blieb wieder stehen. »Woher weißt du das?«, fragte er. »Hast du ihn gesehen?« »Ich weiß es eben«, antwortete sie und umkreiste ihn weiter.
Es konnte nur eine Erklärung geben, dachte Joel hastig. Der Windhund klatschte mehr als alle anderen. Das bedeutete auch, dass sie mehr wusste als alle anderen. Irgendwoher musste der Klatsch ja kommen, auch zu ihr. Joel ging wieder weiter. Diesmal schneller.
»Er trinkt nicht oft«, sagte er. »Immer weniger, wirklich.« Sie waren am Fuß des Hügels angekommen. Joel dachte, der
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