Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
ihm ganz heiß.
Es war halb sieben. Er schaute zu Samuel hinein, der mit dem Buch in den Händen auf seinem Stuhl saß. Aber er war eingeschlafen. Und er hatte immer noch die erste Seite aufgeschlagen.
Joel wartete im Dunkeln vor dem Haus vom Windhund, bis er sicher war, dass es mindestens Viertel nach sieben war. Dann ging er die Treppe hinauf, vorbei an Kringströms Wohnung. Von dort war eine fröhliche Posaune zu hören. Vor der Tür vom Windhund blieb er stehen. Alexandersson stand daran. Joel strich sich durch die Haare und klingelte. Dann wollte er nichts anderes als fliehen. Aber es war zu spät. Der Windhund öffnete. Joel sah sofort, dass sie sich die Lippen angemalt hatte. Sie waren ganz rot.
»Willst du da draußen stehen bleiben?«, fragte sie. »Oder willst du reinkommen?«
»Sind deine Eltern weg?«, fragte Joel.
»Die spielen Bridge«, sagte sie.
Joel trat ein. Er hoffte, sie würde ihn nicht fragen, was Bridge war. Dann hätte er nicht antworten können.
»Zieh die Schuhe aus«, sagte sie. »Sonst machst du den Fußboden schmutzig.«
Joel zog seine Schuhe aus und folgte ihr ins Wohnzimmer. Die Wohnung war groß und voller hübscher Möbel. Joel wusste, dass der Papa vom Windhund Staatsanwalt war. Was das bedeutete, wusste er nicht genau. Aber eins wusste er, dass ein Staatsanwalt viel mehr Geld verdiente als ein Waldarbeiter wie Samuel.
»Du darfst nicht lange bleiben«, sagte sie. »Ich bring dir Küssen bei. Und dann musst du gehen.«
Joel fühlte, dass er rot wurde. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.
Der Windhund stellte einen Stuhl mitten in den Raum. Joel merkte, dass sie auch nervös war. Die
ganze Zeit
schielte sie zum Vorraum, als ob sie fürchtete, ihre Eltern könnten wiederkommen.
»Setz dich auf den Stuhl«, sagte sie. »Und spitz die Lippen.«
Joel tat, was sie gesagt hatte. Sie spitzte die Lippen um ihm zu zeigen, wie sie es gemeint hatte. Joel versuchte es ihr nachzumachen. Es war ein blödes Gefühl.
»Mehr«, sagte sie. »Und mach den Mund auf. Küsschen geben, das kann ja wohl jeder.« Joel wölbte die Lippen vor, sosehr er konnte.
»Jetzt musst du die Augen schließen«, sagte der Windhund und machte es ihm vor. Sie spitzte die Lippen, legte den Kopf schief und schloss die Augen. Joel machte es genauso. Es gefiel ihm nicht, dass er da auf dem Stuhl mitten im Zimmer saß. Irgendwas war falsch, ohne dass er sagen konnte, was.
»Wollen wir nicht endlich anfangen?«, fragte er.
»Mit was anfangen?«
»Wollen wir uns nicht küssen?«
»Das ist wie mit der Gitarre. Zuerst musst du üben.« Joel dachte, dass sie Recht hatte.
»Mach die Augen zu und spitz die Lippen«, sagte sie. »Und nicht heimlich gucken. Du darfst die Augen erst aufmachen, wenn ich es sage.«
Joel tat, was sie verlangt hatte. Ihm kam es so vor, als ob er sehr lange so dasaß. Der Windhund kicherte. Aber sie sagte immer noch nichts. Joel versuchte sich vorzustellen, wie sich ihre Lippen auf seinen anfühlen würden. »Jetzt darfst du gucken«, sagte der Windhund.
Joel öffnete die Augen. Vor ihm standen drei Freundinnen vom Windhund. Und außerdem zwei Jungen aus ihrer Klasse. Als Joel die Augen öffnete, fingen sie an zu lachen. Joel saß da wie gelähmt. Zuerst begriff er nichts. Verwirrt fing auch er an zu lachen.
Dann erkannte er, dass der Windhund ihn reingelegt hatte. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Er sprang auf und stürzte in den Vorraum. Dort riss er seine Jacke und die Stiefel an sich und stürmte auf Strümpfen zur Tür hinaus. Er hörte, wie sie dort drinnen lachten. Er blieb nicht mal stehen, um seine Stiefel anzuziehen. Er musste so schnell wie möglich weg.
Irgendwo im Haus wurde ein Fenster geöffnet. Das Lachen holte ihn ein. Er lief den Hügel auf Strümpfen hinunter und blieb erst stehen, als er das Lachen nicht mehr hören konnte.
Erst da zog er die Stiefel an.
Dann blieb er ganz still stehen.
Immer noch war alles durcheinander. Er wusste nicht, was passiert war. Aber im tiefsten Innern war ihm alles klar. Der Windhund hatte ihn betrogen. Sie hatte alles geplant. Ihre Freunde hatten in einem anderen Zimmer gewartet. Deswegen hatte sie dauernd zum Vorraum geschaut.
Joel sah das Ganze vor sich. Wie er mit schief gelegtem Kopf dagesessen und die Lippen gespitzt hatte.
Er schämte sich. Was geschehen war, war so entsetzlich, dass er nicht mal wütend werden konnte.
Langsam ging er nach Hause.
Aber er dachte, er könnte sich genauso gut in den
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