Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief

Titel: Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
Schnee legen und sterben.

16
    Als Joel nach Hause kam, ging er in den Holzschuppen und setzte sich auf das Bett, das dort stand. Die kalten Stahlfedern taten ihm weh. Aber er streckte sich aus. Am liebsten wäre er so liegen geblieben, bis er erfroren war.
    Dann ging er nach oben. Er hatte kaum Kraft sich Sorgen zu machen, ob Samuel zu Hause war oder ob er wieder weggegangen war. Aber Samuel lag in seinem Bett und schlief. Die Nachttischlampe brannte noch. Die
Meuterei auf der Bounty
lag neben dem Bett. Joel machte das Licht aus. Dann ging er in sein Zimmer und zog sich aus. Er kroch ins Bett und zog die Decke über den Kopf. Zwang sich, nicht an das zu denken, was passiert war.
    Dicht an seinem Ohr knabberte eine Maus in der Wand. Wenn Joel es gekonnt hätte, er hätte sich in der Wand verkrochen und dort eingerichtet. Niemals mehr wäre er rausgegangen. Er hätte dort drinnen in der Wand gewohnt, bis er hundert Jahre alt war und nicht mehr leben musste. Er krümmte sich unter der Decke zusammen. Hielt die Gedanken auf Abstand. Und schlief ein.
    Joel wurde mit einem Ruck wach. Sofort erinnerte er sich daran, was gestern Abend beim Windhund passiert war. Er versuchte sich einzureden, er habe alles nur geträumt. Dass es gar nicht in Wirklichkeit passiert war. Aber es ließ sich einfach nicht wegdenken. Er hatte dort auf dem Stuhl gesessen und die Freunde vom Windhund hatten sich hereingeschlichen.
    Joel sah auf den Wecker. Bald musste er aufstehen und in die Schule gehen. Dort waren der Windhund und ihre Freunde. Und sie würden es allen anderen in der Klasse erzählen. Allen in der ganzen Schule. Joel hatte sich blamiert. Er spürte einen Stich im Magen. Er konnte nicht in die Schule gehen. Niemals im Leben würde er wieder dorthin gehen. Da Samuel war, wie er war, musste Joel allein aus dem Ort abhauen. Heute war Samstag. Morgen kam der Nachtzug, mit dem er seine geheimen Briefe aufgab. Jetzt würde er sich selbst einschmuggeln. Er würde sich verstecken und das Klappern hören, wenn der Zug über die Eisenbahnbrücke fuhr, und wenn es wieder Morgen wurde, war er weit fort. Dann würde er seinen Namen wechseln, sich die Haare färben und ein anderer werden. Joel Gustafsson gab es nicht mehr. Der Windhund und ihre Freunde hätten vergeblich gelacht. Plötzlich stand Samuel in der Tür.
    »Du musst aufstehen, wenn du nicht zu spät zur Schule kommen willst«, sagte er.
    »Ich komme«, antwortete Joel.
    »Es gibt Sturm«, sagte Samuel. »Schneesturm.«
    Hoffentlich wird der ganze Ort weggeblasen, dachte Joel. »Heute kaufen wir dir neue Stiefel«, sagte Samuel und lächelte. »Wenn wir nicht ganz einschneien.« »Ja«, murmelte Joel.
    »Wir treffen uns um zwölf vorm Schuhladen«, sagte Samuel. »Ich bin rechtzeitig da. Und bring das Geld mit. Pass bloß auf, dass du nicht weggeweht wirst.«
    Er ging wieder in die Küche. Joel blieb liegen, die Decke bis zum Kinn gezogen. Er wollte keine neuen Stiefel mehr haben. Er konnte genauso gut in denen weiterlaufen, die er schon hatte. Schließlich würden die Scheuerwunden dafür sorgen, dass ihm die Füße abfielen. Oder er bekam eine Blutvergiftung und starb vor den Augen all jener, die gern zugucken wollten. Der Windhund. Und Frau Nederström. Und all die anderen.
    Aber er konnte nicht im Bett liegen bleiben. Dann würde Samuel misstrauisch werden. Er stand auf und zog sich an. Samuel setzte sich gerade die Pelzmütze auf. »Um zwölf«, sagte er wieder. »Vor dem Schuhladen.« Joel lauschte seinen Schritten auf der Treppe. Früher war Samuel Schiffstreppen hinauf- und hinuntergegangen. Jetzt war es nur noch eine Treppe. Jahr um Jahr. Und währenddessen wurde sein Rücken langsam krumm.
    Joel kroch in die Fensternische. Es war kälter geworden. Minus sechs Grad. Außerdem hatte Samuel Recht. Es stürmte. Die Straßenlaterne schwankte. Es jaulte in den Wänden. Durch den undichten Fensterrahmen drang kalte Luft herein. Joel überlief ein Schauder, als er die Wange gegen die Scheibe drückte.
    Auf der Straße kämpften Menschen gegen den Sturm, der in mächtigen Böen angefegt kam. Junge und alte. Sie waren im Licht der Straßenlaterne zu sehen. Noch war es dunkel. Alle waren irgendwohin unterwegs. Außer Joel. Er saß in der Fensternische und überlegte, ob er in die Wand ziehen und das Heim mit der Maus teilen sollte, die da drinnen knabberte.
    Er sah auf die Uhr. Die erste Stunde hatte schon begonnen. Frau Nederström hatte bereits festgestellt, dass Joel Gustafsson

Weitere Kostenlose Bücher