Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
ähnlich. Aber er war es nicht.
Jetzt blieb sie wieder stehen. Diesmal vor einem Schaufenster. Dann ging sie weiter. Als Joel das Schaufenster erreichte, sah er, dass es eine Eisenwarenhandlung war. Warum sollte Mama Jenny sich für Werkzeug interessieren? Da stimmte etwas nicht. Nichts stimmte.
»Ich weiß nicht, ob sie es ist«, sagte er laut zu sich selbst. »Ich möchte nur ihr Gesicht sehen, um sicher zu sein. Ich möchte nur sehen, ob ich mich selbst wieder erkenne.« Joel sprang hastig in die Schatten der Hauswände. Sie war wieder stehen geblieben.
Er sah, wie sie durch eine Pforte ging. Joel lief auf die andere Straßenseite. Die Pforte führte auf einen Hof. Auf dem Hof war ein großes Haus. Es sah aus wie eine Schule. Über dem großen Eingang stand etwas. Aber es war zu weit weg und es war zu dunkel, er konnte es nicht lesen. Eine Treppe führte zum Eingang hinauf. Er sah, wie sie die Tür öffnete und in hellem Licht verschwand. Die Tür fiel zu. Sie war weg.
Joel wartete. Dann ging er näher und las, was über dem Eingang stand.
Stiftung Herbstlicht.
Er hatte keine Ahnung, was eine Stiftung war. Und warum hieß sie Herbstlicht?
Das Licht der Straßenlaternen fiel durch die Pforte. Er drückte sich in den Schatten. Was trieb er da eigentlich? Jemand kommt aus dem Haus, in dem Mama Jenny vielleicht wohnt. Und dann folgt er ihr. Während er eigentlich in seinem Hotelbett liegen und schlafen sollte. Er hatte fast ein schlechtes Gewissen. Samuel hatte nicht viel Geld und hatte davon ein Hotelzimmer bezahlt. Und Joel benutzte noch nicht einmal das Bett. Er beschloss, am nächsten Tag umso mehr darin zu liegen.
Außerdem beschloss er zu gehen. Aber er blieb stehen.
Er beschloss die Pforte nicht zu öffnen.
Dann öffnete er sie.
Ich geh auf keinen Fall bis zur Treppe, dachte er.
Dann ging er zur Treppe. Aber die Tür traute er sich nicht zu öffnen. Er versuchte zu lauschen. Doch alles war still. Ein breiter Kiesweg schlängelte sich um das Haus. Da werde ich nicht gehen, dachte er. Dann setzte er sich in Bewegung.
Das Haus war sehr groß und hatte viele Fenster. Die meisten waren dunkel. Aber hier und da leuchtete Licht, starkes Licht.
Herbstlicht,
dachte er. Das Licht des Herbstes. Was war das eigentlich für ein Haus?
Auf der Rückseite war ein großer Garten. Nachdenklich blieb Joel vor einem Schuppen stehen, dessen Tür offen war. Dort standen mehrere alte Rollstühle.
Es wurde immer merkwürdiger. Vor einigen Jahren hätte er bestimmt Angst bekommen. Aber nicht jetzt. Es war nur merkwürdig.
Er ging weiter. An der Schmalseite war eine Tür. Sofort entdeckte er, dass sie nur angelehnt war. Da geh ich auf keinen Fall rein, dachte er.
Dann legte er vorsichtig die Hand auf den Türgriff. Die Tür quietschte. Aber nicht sehr. Drinnen war es hell. Er ließ den Türgriff los, die Tür fiel zu. Dann schob er sie erneut auf.
Ich kann ja sagen, ich hätte mich verlaufen, dachte er. Das hören die an meinem Dialekt. Hier ist ein junger Mann, der hat sich gründlich verlaufen. Einer von ganz weit weg aus Norrland.
Ich kann auch sagen, dass ich schlafwandle. Und dass ich in einem Hotel wohne. Und dass ich nicht zurückfinde. Er lauschte. Von der Decke leuchtete eine einsame Glühlampe. Alles war still. Er glitt durch die Tür und achtete darauf, dass sie nicht wieder zufiel. Sicherheitshalber schob er ein Stück Holz in den Türspalt.
Hier drinnen roch es. Muffig. Alt. Aber auch nach etwas anderem. Dann fiel ihm ein, was es war. Krankenhaus. Aber konnte ein Krankenhaus noch einen anderen Namen haben als Krankenhaus? Herbstlicht? Das wirkte komisch. Er ging einen Korridor entlang, vorsichtig, und kam zu einer breiten Doppeltür. Die schob er auf und spähte hinein. An der einen Wand stand eine Trage, daneben ein Rollstuhl.
Jetzt war er sicher, dass es ein Krankenhaus war. Irgendwo weit entfernt wurde eine Tür geöffnet und wieder geschlossen. Dann war es wieder still. Er trat hinaus in den Korridor. Wie sollte er die Frau im grünen Mantel bei all den vielen Türen finden? Er ging weiter, ständig darauf vorbereitet, dass jemand kommen könnte. Die ganze Zeit übte er seine Entschuldigung. Dass er sich verlaufen hatte, ganz von Norrland. Oder dass er Schlafwandler war und sich bei einem nächtlichen Spaziergang verlaufen hatte. Alle Türen sahen gleich aus. Er öffnete eine auf gut Glück und spähte durch den Spalt. Da drinnen war es fast ganz dunkel. Nur ein schwaches Licht von einer Lampe in
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