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Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt

Titel: Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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jedenfalls vorher noch getroffen. Wenn sie es nun ist.
    »Wieso heißt du Rydén?«, fragte er.
    Die Worte waren ihm so herausgerutscht. Er müsste ein Gitter vorm Mund haben, gleich über den Zähnen, damit die Worte nicht immer so herauspurzeln konnten. »Mein Mädchenname war Nilsson. Dann hab ich einen Mann mit Namen Rydén geheiratet. Jetzt bin ich geschieden, aber den Namen hab ich behalten.«
    Joel fand es gut, dass sie geschieden war. Das bedeutete, dass kein Mann in ihrer Wohnung auf sie wartete. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er in diesem Augenblick zwei Schwestern bekommen hatte. Wenn es stimmte, was der wütende Mann im Umkleideraum gesagt hatte. »Arne hat gesagt, du hast zwei Töchter.«
    »Maria und Eva. Maria ist zehn und Eva neun.«
    »Ist Rydén ihr Vater?«
    »Ja.«
    Sie stiegen in den Fahrstuhl. Joel sah im Spiegel, dass ihm die Haare zu Berge standen. Plötzlich sahen sie beide in denselben Spiegel.
    Die Augen, dachte Joel. Wir sind uns ähnlich. Wir haben die gleichen Augen. Und mögen nicht gern telefonieren. Dann überlegte er, was es bedeutete, dass er plötzlich zwei Schwestern bekommen hatte. Zwei kleine Schwestern. Plötzlich war er großer Bruder.
    Alles ging viel zu schnell. Er kam gar nicht mehr mit. Der Fahrstuhl hielt. Joel gab den Schlüssel in der Rezeption ab.
    »Wir kommen bald wieder«, sagte Jenny Rydén. »Falls sein Papa anruft.«
    »Bis jetzt hat noch niemand vom Krankenhaus angerufen«, sagte der glatzköpfige Mann.
    Sie traten auf die Straße. Jenny Rydén sah ernst aus. »Ist Samuel krank?«
    »Er hatte ein bisschen Bauchschmerzen.«
    »Seid ihr deswegen nach Stockholm gekommen?«
    »Nein. Bauchschmerzen hat er erst heute Nacht gekriegt.« »Hoffentlich ist es nichts Ernstes.«
    Das hoffe ich auch, dachte Joel. Aber er sagte nichts.
    Sie gingen in einen Park, in dem es viele Rasenflächen gab, viele Kieswege und viele Bänke. Jenny Rydén fragte, ob Joel etwas essen oder trinken wollte. Aber er wollte nicht. Ihm wurde klar, dass es nicht nur ihm schwer fiel zu reden.
    Nicht nur ich habe meine Mama gefunden, dachte er, sie hat ihren Sohn gefunden.
    Schließlich setzten sie sich auf eine Bank. Den Karton mit
Celestine
stellten sie zwischen sich. Es war, als ob sie jetzt einen Anlauf nähme.
    »Es war so kalt«, begann sie. »So kalte Winter und so lange Nächte, so viel Dunkelheit und so viel Wald. Es war so viel Eis und so viele stumme Menschen. Und nichts zu tun. Ich dachte, ich würde verrückt werden. Schließlich hab ich es nicht mehr ausgehalten. Ich hab einfach meinen Koffer genommen und bin abgehauen.«
    »Du hast einen grünen Mantel angehabt«, sagte Joel. »Ja. Ich hatte einen grünen Mantel. Und die ganze Zeit dachte ich, dass es falsch ist, was ich mache. Dass ich dich hätte mitnehmen sollen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte dich Samuel nicht wegnehmen.«
    Auf den Gedanken war Joel noch nie gekommen. Dass sie ihn hätte mitnehmen können. Dann wäre er in Stockholm aufgewachsen. Mit einem Stiefvater, der Rydén hieß. Und zwei kleinen Schwestern. Hätte er das gewollt?
    Er kannte die Antwort. Nichts hätte ihn dazu bringen können, sich gegen Samuel zu entscheiden. Obwohl er seine eigene Mama hatte sein müssen.
    »Ich wollte immer Kontakt zu dir aufnehmen«, fuhr Jenny Rydén fort. »Dir schreiben. Dich besuchen. Aber ich hab's nicht geschafft. Ich habe mich nicht getraut.«
    Joel verstand nicht, wie man es nicht wagen konnte, einen Brief zu schreiben. Doch er sagte nichts. Es war wohl besser, wenn er im Augenblick nur zuhörte.
    »Aber jetzt bist du da«, sagte sie und griff wieder nach seinem Arm.
    Joel fand, dass Jenny Rydén sehr nervös wirkte. Er fragte sich, ob er sie jemals »Mama« nennen könnte.
    »Ich muss wieder ins
Herbstlicht«,
sagte sie. »Ich hab nur ein paar Stunden frei.«
    Für Joel war es eine Erleichterung.
    Sie gingen zurück zum Hotel und trennten sich draußen auf der Straße. Sie stand vor ihm und hielt ihn an beiden Armen fest. Joel fand das unangenehm. Ihm war, als ob die Vorübergehenden sie anstarrten.
    »Grüß Samuel von mir«, sagte sie. »Jetzt möchte ich ihn auch gern treffen. Jetzt, wo wir uns ein bisschen kennen.« Sie ließ seine Arme los und machte einen Schritt zurück. »Dass du so groß bist.« »Was war nicht gut an Samuel?«
    Sie hörte seine Frage nicht, da er sie nur gemurmelt hatte. Er wiederholte sie nicht.
    Aus ihrer Handtasche holte sie einen Zettel und einen Kugelschreiber und schrieb ihre Telefonnummer

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