Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
Gedanke begann langsam gegen alle Türen drinnen in Joels Kopf zu hämmern. Aber er wollte ihn nicht rauslassen. Er stemmte sich dagegen, sosehr er konnte. Schließlich ging es nicht mehr. Der Gedanke drängte sich hinaus.
Samuel ist sehr krank. Vielleicht wird er sterben.
Joel schnappte nach Luft. Samuel sah ihn an. »Ich darf heute nichts essen. Sie wollen mich morgen untersuchen, wenn mein Magen leer ist.« »Ich hab schon gegessen.«
»Was hast du sonst den ganzen Tag gemacht?« »Nichts.«
»Der Mann in der Rezeption sagt, eine Dame sei zu Besuch gekommen.«
Joel überlegte, wie er anfangen sollte. Aber er brauchte nicht lange nachzudenken. Samuel half ihm.
»Celestine
ist weg«, sagte er langsam. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass du sie jemandem anders als deiner Mama gegeben hast.«
Joel wartete gespannt auf die Fortsetzung.
»Ich habe Recht, oder?«
Joel nickte.
Dann begann er zu erzählen.
9
Ausnahmsweise erzählte Joel genau, wie es gewesen war. Er ließ nichts aus. Samuel durfte ihn begleiten, von Anfang an, als er sich aus dem Hotel geschlichen hatte. Joel erzählte, wie er im Dunkeln vor dem Haus gestanden hatte, wie die Tür geöffnet wurde und eine Frau in grünem Mantel herausgekommen war.
Samuel hörte erstaunt zu. Als Joel zu dem Augenblick kam, als er mit der offenen Handtasche dastand und die Tür plötzlich aufgerissen wurde, war es, als ob Samuel zusammenzuckte.
Er ist dabei, dachte Joel. Er versteht genau, wie es war. Aber er erzählte nicht, dass er die Arbeitsvermittlung für Seeleute aufgesucht hatte. Er fürchtete, das könnte zu viel für Samuel werden. Der war immer noch so blass. Während Joel erzählte, kehrte hin und wieder der Gedanke zurück: dass Samuel wirklich sehr krank war. Aber er schob ihn beiseite. Jagte ihn in eine Ecke seines Kopfes. »Das sind ja Sachen, die du da erzählst«, sagte er, als Joel nichts mehr zu erzählen hatte. »Aber wie konnte Jenny wissen, dass du in diesem Hotel bist?«
»Ich hab wahrscheinlich den Namen genannt. Und der mich geschnappt hat, konnte sich daran erinnern.« »Und dann hat sie hier angerufen?«
»Ich dachte, es wäre eine Krankenschwester. Da sie nicht dich verlangt hat, sondern mich sprechen wollte.«
»Ich werd richtig müde von all dem, was du erzählst. Ich glaub, ich muss mich hinlegen.«
Samuel streckte sich auf dem Bett aus. Joel setzte sich neben ihn. Früher ist es umgekehrt gewesen, dachte er. Da hat er auf meiner Bettkante gesessen. Jetzt sitze ich auf seiner. »Was hat sie zu
Celestine
gesagt?«, fragte Samuel nach einer Weile.
»Sie hat sich daran erinnert. Dass sie in der Küche gestanden hat.«
Samuel runzelte die Stirn. »Daran konnte sie sich wirklich erinnern? Hast du dir das nicht nur ausgedacht?«
»Es ist wahr. Sie hat sich erinnert.«
»Und sie will, dass wir sie anrufen?«
»Ja.«
Samuel schüttelte den Kopf. »So kann's gehen«, sagte er. »Dabei haben wir beide sie doch suchen wollen. Und dann an ihre Tür klopfen. Aber nichts wird, wie man sich das vorgestellt hat. Nie.«
»Ich hab zwei Schwestern«, sagte Joel. »Maria und Eva.« »Zwei Halbschwestern«, sagte Samuel.
Joel sagte nichts. Aber ihm gefiel der Gedanke nicht, zwei halbe Personen als Geschwister zu haben. »Ihr Vater heißt Rydén. Aber er ist nicht da.« Das interessierte Samuel. »Wo ist er denn?« »Weg. Ich weiß nicht.«
Samuel richtete sich auf. »Erzähl mir, wie sie aussieht.«
Joel versuchte es. Aber er fand, es gelang ihm nicht besonders gut.
»Wie war sie?«
»Wie soll sie gewesen sein?«
»War sie froh? Oder nervös? Oder irgendwas anderes?« »Sie war nervös.«
Samuel zog eine Grimasse. »Es hätte noch gefehlt, dass sie's nicht gewesen wäre.«
Jetzt war etwas Hartes in seiner Stimme. Etwas, das Joel überraschte, etwas Entschiedenes.
»Schließlich hat sie dich und mich verlassen.«
Joel hatte plötzlich das Bedürfnis, sie zu verteidigen. »Sie sagt, sie musste weg, weil es zu kalt war.« »Sie ist abgehauen, weil es zu kalt war?«
»Und zu viel Wald. Und zu wenig Menschen.«
»Das ist doch nur Gerede«, sagte Samuel. »Niemand verlässt sein Kind, nur, weil es zu kalt ist.«
»Ich wiederhole nur, was sie gesagt hat. Frag sie doch selbst.«
»Das werd ich auch tun.«
Joel fand Samuel nörgelig. Warum konnte er sich nicht einfach darüber freuen, dass Joel sie gefunden hatte? »Ich muss über sehr viel mit ihr reden«, fuhr Samuel fort. »Wenn du dich mit ihr streiten willst, komm ich nicht
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