Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
bisschen müde. Aber er wollte in Ruhe gelassen werden. Nach all den Jahren ohne Mama wurde es ihm plötzlich zu viel, dass sie die ganze Zeit um ihn herum war. »Ja«, sagte er, »ich glaub, ich geh schlafen.«
»Wenn du morgen aufwachst, bin ich wahrscheinlich schon weg.« Sie gab ihm den Haustürschlüssel. »Die Mädchen sind bei der Nachbarin, während ich arbeite. Um sie brauchst du dich nicht zu kümmern.«
Das war eine große Erleichterung. Der bloße Gedanke, dass er einen ganzen Tag mit ihnen hätte zusammen sein sollen, machte ihm Lust zu fliehen.
»Was wirst du morgen machen? Findest du dich schon ein wenig zurecht in Stockholm?«
»Ich habe einen Stadtplan. Ich komm schon zurecht.«
Als er sich hingelegt hatte und gerade das Licht ausknipsen wollte, klopfte sie an die Tür und Jenny kam herein. »Ich möchte so viel wissen«, sagte sie. »Und bestimmt willst du auch viel von mir wissen. Wir müssen uns Zeit lassen.« Joel murmelte etwas Unverständliches. Er wollte, dass sie ging. Jetzt konnte er nicht mehr.
Sie sagte gute Nacht und verließ das Zimmer. Bald war es still in der Wohnung.
Joel dachte an Samuel. Er vermisste sein Schnarchen, das immer durch die Wand gedröhnt hatte.
Jetzt war er allein. Aber er hatte Jenny Rydén und zwei Schwestern in der Nähe.
Doch Samuel war weg. Das war das Einzige, was zählte.
Als er am Morgen aufwachte, war die Wohnung still und leer. Der Himmel war verhangen. Joel frühstückte und zog saubere Unterwäsche an. Dann ging er hinaus.
Das Wartezimmer in der Arbeitsvermittlung für Seeleute war voller Leute, lauter Seeleute. Es waren auch einige Jungen da, die nicht älter als er zu sein schienen. Das beunruhigte ihn. Vielleicht waren schon alle Schiffe besetzt? Vielleicht gab es keinen Platz mehr für ihn?
Als der Schalter leer war, ging er hin und fragte, ob sein Seefahrtsbuch fertig sei. Und das war es!
Es war dunkelblau. Und dort stand sein Name. Es war, als ob er schon an Deck eines Schiffes stände. Der Boden unter ihm schwankte. So groß war seine Freude. Er musste sich hinsetzen, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. »Das erste Mal?«, fragte einer. »Ja«, antwortete Joel.
Der Frager hatte Sommersprossen und knallrote Haare. »Jetzt rufen sie bald auf«, sagte er.
Joel verstand nicht, wie er das meinte. Wer sollte rufen? Aber er fragte nicht.
Die Antwort bekam er fast auf der Stelle. Eine Klappe in der Wand öffnete sich. Ein Mann mit schweißglänzendem Gesicht fuchtelte mit Papieren. »Ein Elektriker für
Neptun.
Ein Bootsmann, ein Maschinist.
Der Maschinist muss befahren sein. Steward für
Lindfjord.
Ein Jungmann. Das ist alles für heute. Morgen um zehn Uhr rufen wir wieder aus.«
Einige der Wartenden standen auf und gingen zu der Klappe. Andere murmelten unzufrieden und verschwanden durch die Tür. Jetzt hatte Joel verstanden, wie es zuging. Morgen um zehn Uhr würde er wieder hier sein. Jungmann konnte er werden. Oder Steward. Er spürte die Anspannung.
Der Mann mit dem schweißglänzenden Gesicht hielt die ganze Welt in seinen Händen.
Das Wartezimmer leerte sich langsam. Joel blieb sitzen. Er blätterte in Zeitungen, die auf dem Tisch lagen. Es war Werbung für verschiedene Reedereien. All diese Schiffe! Die Kohle und Erz, Bananen und Öl transportierten. Er wollte gerade aufstehen und gehen, da flog die Klappe wieder auf. Der Mann mit dem schweißglänzenden Gesicht steckte den Kopf heraus. Er wollte die Klappe gerade wieder zuschlagen, als er Joel entdeckte. »Was für eine Arbeit suchst du?«, rief er. »Ich will Seemann werden«, antwortete Joel.
»Das war die dümmste Antwort, die ich je gekriegt habe. Was hättest du sonst hier verloren?« Der Mann wedelte mit einem Blatt Papier.
»Hier ist noch eine Heuer«, sagte er. Das Blatt war auf den Boden gefallen.
»M/S Alta
braucht einen Steward.« Joel hielt den Atem an. Seine Gedanken überschlugen sich. Ein Steward hielt sich nur an Deck auf, wenn er die Abfälle auskippte. Ein Steward servierte und wusch ab, baute Betten und räumte auf. Wie eine Putzfrau im Hotel. »Du bist also nicht interessiert«, rief der Mann und wollte die Klappe zuziehen.
»Das nehm ich«, rief Joel.
Im nächsten Augenblick war er bei der Klappe und legte sein Seefahrtsbuch vor.
»Sie legt heute Nacht im Värtahafen an. Sei morgen früh um acht da. Frag nach dem Steward.«
»Nach wem?«
Der Mann hinter der Klappe schlug das Seefahrtsbuch auf und nickte. »Die erste Reise für dich. Geh hin und
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