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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd
Autoren: Unbekannt
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herunter. Krauss
brauchte das Opernglas nicht mehr. Benslers hässliche Visage, die pockige Haut,
die zerfurchte Säufernase, das haltlose Kinn kannte er fast so gut wie sein
eigenes Gesicht.
    Stechender Schmerz schoss plötzlich von der Wirbelsäule aus seinen Körper
hoch. Krauss versteifte sich, biss die Zähne zusammen. Es war die Wunde, die
er sich damals bei der Flucht vor Edgar zugezogen hatte, eine Kugel, zu nah an
der Wirbelsäule, um sie herauszuoperieren. Ab und an drückte sie auf am
Rückenmark verlaufende Nerven. Der Schmerz schnitt durch seine Organe wie
flüssiges Feuer, ließ seine Kräfte erlahmen.
    Krauss atmete stoßweise. Umständlich rutschte er vom Stuhl und legte sich
der Länge nach hin. Wenn er sich entspannte, ließ der Schmerz nach. Er spürte
die Wunde bis in seine Kiefer, spürte ihr pulsierendes Zentrum, das Lava durch
seine Adern pumpte.
    Nach wenigen Minuten erlosch das Feuer. Der Anfall war vorbei. Krauss zog
sich wieder auf den Stuhl und setzte leicht zittrig das Opernglas an die Augen.
Bensler hatte Gesellschaft bekommen, eine Blondine. Sie sagte etwas zu ihm, er
nickte, sie verschwand. Krauss sah sie nur im Halbprofil, zu kurz, um sie einwandfrei
zu erkennen. Aber ihre Art, sich zu bewegen, erschien ihm vertraut. Es hatte
einige Frauen im Umfeld der »Söhne Odins« gegeben, die meisten von ihnen hartgesotten
wie die Männer. Das verdoppelte das Risiko. Bensler streckte den Kopf aus dem
Fenster, beugte sich so weit vor, dass seine Bierwampe empfindlich gequetscht
wurde, und inspizierte die Straße. Erwartete er jemanden? Wollte er nur kurz
frische Luft schnappen? Bensler, den sie wegen seines Kantschädels und der Art,
sich durchzusetzen, immer die Walze genannt hatten, drehte sich um und
verschwand im hinteren Bereich des Raums.
    Krauss harrte
weiter aus. Wo sich zwei Gegner aufhielten, könnten auch drei auf ihn warten.
Das würde es fast unmöglich machen. Gegen drei von Edgars Schergen stand selbst
ein zu allem entschlossener Mann wie er auf verlorenem Posten. Auch wenn er im
Vorteil war, weil er nichts mehr zu verlieren hatte und keiner mit ihm
rechnete. Krauss legte das Opernglas weg. Andererseits war ein Zeitpunkt so
gut wie der andere. Er hatte heute schon einmal Glück gehabt. Warum nicht noch
mal? Bensler und Blondie waren allein, das sagte ihm seine Intuition. Sonst
würde die Drecksau nicht in Unterwäsche herumlaufen.
    Vor seinem
inneren Auge ließ er seine nächsten Schritte ablaufen, versuchte, sich in das
Haus zu versetzen. Alles hing davon ab, dass er völlig ruhig blieb, nicht
vorschnell handelte. Er musste einen klaren Kopf behalten, dann würde es gelingen.
Es musste gelingen. Krauss stand auf und warf einen letzten Blick auf Canal
Street 164. Die Vorhänge wehten leicht im Wind, alles schien wie ausgestorben.
Vielleicht würde er dort sterben. Nicht heute, entschied er.
    Krauss wandte sich mit einer entschlossenen Bewegung ab. Er stellte den
Stuhl zurück an seinen Platz, stieg langsam die Treppe hinab, ging durch den
Flur, öffnete die Tür zur Straße. Einige Sekunden lang rekapitulierte er seine
Schritte, vergewisserte sich im Geiste, dass niemand seinen Besuch bemerken
würde. Er zog die Haustür hinter sich zu und lief in gemäßigtem Tempo den Bürgersteig
hinunter, weg vom Haus. Es sollte so normal wie möglich wirken. Nach
zweihundert Metern wechselte er die Straßenseite und kam zurück. Kurz vor
Nummer 164 holte er den Draht aus der Tasche.
    Ohne zum Fenster hochzuschauen, nahm er die drei Stufen zur Tür, steckte
den Dietrich ins Schloss und ließ den Riegel einschnappen. Er schlüpfte hinein
und zog sofort die Walther. Dann drückte er mit der Linken leise die Tür wieder
zu. Er war im Haus. Krauss packte die Waffe mit beiden Händen, hielt sie halbhoch
vor den Körper. Bisher hatte er sich nicht von der Stelle bewegt. Er lauschte,
wie zwei Stunden zuvor im Haus gegenüber. Die Geräuschkulisse war eine völlig
andere. Es knackte und knisterte, Vorhänge raschelten, durch die offenen
Fenster drang das Rauschen der Straße. Aus der oberen Etage waren Stimmen zu
hören. Undeutlich, abgehackt, fordernd. Ein Mann. Bensler? Eine hellere
Tonlage, monoton antwortend. Die Frau. Beide hielten sich also oben auf.
    Sehr gut, dachte Krauss. Zwei Meter links von ihm befand sich eine
offenstehende Tür. Mit drei großen Schritten erreichte er sie, schwenkte die
Waffe in den Rahmen. Die Küche. Niemand zu sehen. Aufgeschnittene Früchte auf
der Anrichte, eine
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