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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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getroffen. Die Starken führten die Schwachen - ins Verderben.
    Sein Bruder war einer der größten Verführer gewesen, jung, charismatisch
und schön, beseelt von dem Gedanken, das Land von einer Last zu befreien. Der
Schmach der Vergangenheit. Dem Erbe der Alten. Edgar verglich das Land gerne
mit einem Menschen. Die Weimarer Republik, das war ein dahinsiechender Greis,
im Innersten verfault, geschwächt, ohne Abwehrkräfte gegen die Gebrechen, die
ihn langsam auffraßen. Der neue Staat, den Hitler propagierte, war gesund an
Geist und Körper, strotzte vor Energie und Tatkraft. Krankheiten wurden einfach
ausgemerzt. Edgar sprach gerne über diese neue Welt, die er mitbegründen
wollte, und wenn er so redete, glänzten seine Augen. Ihrem Licht war Krauss
gefolgt, denn auch er träumte davon, erleuchtet zu werden wie sein Bruder.
Aber so sehr er sich auch anstrengte, in ihm glimmte nur der Funke eines
Mitläufers, der beflissen bei der Sache war, ohne das große Ganze zu
begreifen.
    Krauss musste auch an seine Eltern denken. Sein Vater, ein Verwaltungsangestellter
im mittleren Dienst, war ein Anhänger der Republik. Erst beobachtete er mit
Sorge die Entwicklung seiner Söhne, später lieferte er sich erbitterte
Diskussionen mit ihnen, vor allem mit seinem Ältesten. Edgar rastete bei
solchen Wortgefechten zunehmend aus, nannte seinen Vater einen Totengräber des
Reiches. Irgendwann gab es der alte Herr auf, gegen seine Söhne anzurennen, zog
sich in die innere Emigration zurück. Da war der Graben zwischen den
Generationen schon zu tief, eine Verständigung unmöglich. Krauss schämte sich
bis heute dafür, wenn er an seine Mutter dachte, wie sie hilflos zwischen Vater
und Söhnen zu schlichten versuchte. Als die Partei an die Macht geriet, waren
er und Edgar schon lange aus dem Haus, hatten in den Kameraden eine
Ersatzfamilie gefunden. Sein Vater war daran zerbrochen, das hatte Krauss aus
Briefen seiner Mutter erfahren, die sie an die Gestapo-Zentrale schickte, bis
auch dieser Kontakt abriss.
    Was hätte er darum gegeben, noch einmal mit seinen Eltern zu reden, dachte
Krauss, festgeklammert an seine Badeinsel. Er war davon überzeugt, dass sie ihm
verzeihen würden. Und ging es am Ende nicht darum? Dass die Menschen, die man
liebte, einem verziehen? Musste er nicht auch seinem Bruder verzeihen?
    Krauss spannte seinen Körper an. Niemals. Hanna hätte es wahrscheinlich
gekonnt, dachte er. Sie hatte der Angst, dem Druck und der Grausamkeit, die sie
umgaben, ihre Liebe entgegengesetzt. Sie verstand sich auf die Kunst, Fragen
in Krauss auszulösen. Das war ihr Geheimnis. Was war er sich plötzlich dumm
vorgekommen. Aber sie ließ ihn das nie spüren, umarmte ihn auf eine Weise, dass
er sich geborgen fühlte wie im Schoß der Erde. Sie besaß die Fähigkeit, ihm die
Verlorenheit, die Teil seines
    Wesens war, zu nehmen. Auch Oda war dies gelungen, auf eine ganz andere Art
zwar, aber ebenso nachhaltig. Obwohl er davon überzeugt gewesen war, keine Frau
mehr zu treffen, die Ähnliches auslösen konnte wie Hanna. Er hatte sich
geirrt. Natürlich war Oda anders, aber auch sie hatte in ihm etwas zum Klingen
gebracht, einen Ton erzeugt, der ihn mehr und mehr ausfüllte, die Stille in
ihm verdrängte. Er wünschte ihr, dass sie durchkam, mit dem Jungen eine neues
Leben anfangen konnte. Es war an der Zeit, sich die Wahrheit einzugestehen - er
wäre gerne dabei.
    Krauss betrachtete den See. Es gab noch einen anderen Weg, ohne das Blut
seines Bruders zu vergießen, ohne ewige Verdammnis. Er musste sich nur
hineingleiten lassen in diesen schwarzen Spiegel, nur hineingleiten in die
flüssige Seide, sich dem Sog des Vergessens hingeben. Einmal hatte er Hanna
gefragt, wie sie sich den Tod vorstelle, ob es ihrer Meinung danach noch etwas
gebe, und sie hatte geantwortet, sie denke an eine Landschaft auf dem
Meeresgrund. Sie schwebe darüber, befreit von den Kümmernissen ihres
körperlichen Daseins. Er hatte wissen wollen, ob sie in ihrer Vision denn
alleine sei, worauf sie lachte und sagte, natürlich nicht, sie sei umgeben von
den Menschen, die sie liebten. Sofern sie denn tot seien. Ihre Worte hallten in
ihm nach. Sofern sie denn tot seien. Er müsste nur loslassen, und auch er würde
schweben bis in alle Ewigkeit. Nur loslassen.
    Stimmen am Ufer rissen Krauss aus seinen Gedanken. Er konnte nicht
verstehen, was sie sagten, dafür waren sie zu weit entfernt, aber irgendetwas
war passiert. Dadurch, dass er an der dem See zugewandten

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