JörgIsring-UnterMörd
hinschnaufend, stand der Zug nach Niebüll auf dem Gleis. Göring hatte
angeordnet, dass die Bahn warten solle, bis er wieder eintreffe. Der
Feldmarschall grinste breit über die gelungene Überraschung.
»Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
Göring winkte wortlos ab, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Er drehte
sich zu Dahlerus um und sah diesen ernst an. »Hier trennen sich nun unsere
Wege, mein lieber Dahlerus. Halten Sie mich unbedingt auf dem Laufenden, wenn
Sie etwas Neues erfahren. Auch ich werde Sie umgehend informieren. Wir dürfen
jetzt nicht aufgeben, jetzt, wo wir schon so viel erreicht haben.« Der Deutsche
reichte Dahlerus die Hand.
Fleischig und weich, dachte der Schwede, wie die Hände einer Frau.
Göring flüsterte beschwörend. »Und denken Sie immer daran, mein lieber
Dahlerus, egal was passiert: Ich bin auf Ihrer Seite. Ich bin Ihr Freund.«
Dahlerus wusste nicht recht, was er erwidern sollte.
»Hoffen wir das Beste. Leben Sie wohl, Herr Göring.«
»Sie auch, mein lieber Dahlerus. Wir werden uns schon bald wiedersehen, da
bin ich mir sicher.«
Hermann Göring zwinkerte Dahlerus zu. Der Schwede stieg aus dem Wagen und
ging Richtung Bahnhof. Der Mann, der von sich behauptete, den Frieden sichern
zu wollen, wendete den Mercedes, deutete lässig einen Hitlergruß an und fuhr
davon. Dahlerus blieb noch einen Augenblick stehen, sah der entschwindenden
Limousine hinterher. Er fragte sich, ob er wirklich Hermann Görings Freund
sein wollte. Als die Waggontür scheppernd hinter ihm zufiel, wusste er die
Antwort.
4.
London
8. August Chelsea, Vormittag
Jonathan Doyle nippte an seinem Kaffee. Das lauwarme Gebräu schmeckte wie
Schlamm. Der Brite verzog keine Miene. In den Jahren als Verbindungsoffizier
für den Militärischen Abschirmdienst MI5 hatte er gelernt, seine Gefühle zu
kontrollieren. Doyle beherrschte seinen Job. Er stellte Tasse und Untertasse
auf den kleinen Tisch vor sich. Das Klappern des Porzellans verstärkte die
Stille. Der Engländer empfand das Schweigen nicht als unangenehm, es gab ihm
Zeit, sich zu sammeln. Seit seiner Ankunft vor gut einer halben Stunde hatte er
kaum ein Wort mit Krauss gewechselt. Der Deutsche hatte ihn eher notgedrungen
ins Wohnzimmer gebeten und ihn gefragt, ob er Kaffee wolle. Doyle hatte die
Einladung angenommen, zu seinem Bedauern, wie sich jetzt herausstellte, und
Krauss war in die Küche verschwunden.
Sonderlich erfreut schien der Deutsche nicht zu sein, ihn zu sehen, dachte
Doyle, korrigierte sich aber gleich: Krauss wirkte nie erfreut. Er zeigte
überhaupt nur wenig, was man als irgendwie geartete Gefühlsregung
interpretieren konnte. In dieser Hinsicht bewegten sie sich auf Augenhöhe - mit
dem feinen Unterschied, dass Doyle seine Gesichtsmuskulatur so virtuos bediente
wie ein Klavierspieler sein Instrument, Krauss dagegen so ausdruckslos wirkte
wie ein königlicher Gardist am Buckingham Palace. Der englische Agent mochte
den Deutschen nicht. Für ihn hatte der Kerl einen Schaden. Und zwar einen
kapitalen. Einen von der gefährlichen Sorte.
Doyle stierte in seine Tasse. Die braune Brühe schmeckte nicht nur wie
Schlamm, sie sah auch so aus. Dünne Staubfäden tanzten in der Augustsonne.
Draußen war es brütend heiß, drinnen aber einigermaßen kühl. Auf der Insel
stöhnten alle über die Hitze. In den Zeitungen warnten sogenannte Experten
davor, England könnte versteppen. Doyle hielt nichts von solchem Geschwätz, er
blätterte immer gleich zum Sportteil. Momentan hatte er sowieso andere Sorgen
als das Wetter: Er wünschte sich, den Kaffee nicht probiert zu haben. Seine
Zunge fühlte sich pelzig an, er lechzte nach einem Glas Wasser. Nur nicht aus
diesem Kühlschrank. Krauss schaute an ihm vorbei, womöglich aus dem Fenster,
hinaus in den etwas kargen Garten. Rasen, ein paar Büsche, gerade so viel, dass
es einen nicht über die Maßen forderte. So ungepflegt, wie das Grün aussah,
scherte es Krauss einen Dreck. Er lebte in seiner eigenen Welt, abgeschottet,
schwer nachvollziehbar nach herkömmlichen Maßstäben. Das erklärte auch den
miserablen Kaffee. Wenn es darauf ankam, war Krauss allerdings voll da, das
musste man ihm lassen. Seit er in ihren Diensten arbeitete, hatte er sie nicht
einmal enttäuscht. Krauss war ein Geschenk Gottes, dachte Doyle, korrigierte
sich aber sofort - ein Geschenk des Teufels natürlich. Angeschwemmt wie eine
Kiste Treibgut, bei der sich herausstellt, dass sie große Schätze birgt.
Als Krauss ihnen
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