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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Nordsee. Vom Meer her wehte ein leichter
Wind, der den würzigen Salzwassergeruch bis hoch zu den beiden Männern trug.
Dahlerus atmete die Luft gierig ein. Sie roch nach Kindheit, nach unbeschwertem
Vergnügen, nach Geborgenheit. Die meisten hier ahnten wahrscheinlich, dass sich
etwas über ihren Köpfen zusammenbraute, aber sie wollten es nicht wissen,
wollten dem Unvermeidlichen für ein paar Tage entfliehen. Man bekam fast den Eindruck,
dass die Ausgelassenheit zunahm, je näher das Verderben rückte. Noch einmal
feiern, lautete die Devise, noch einmal das Leben in vollen Zügen genießen.
    Göring blieb stehen, beobachtete das Gewusel wortlos, aber zufrieden.
»Schauen Sie sich gut um, Dahlerus. Sie sehen sorglose Menschen, glückliche
Menschen, wohlhabende Menschen. Die Deutschen sind ein reiches Volk, reich an
inneren Werten, an Gleichmut und Lebensfreude. Sie arbeiten hart, und sie
genießen ihren wohlverdienten Urlaub. Sehen Sie nur die vielen Kinder. Überall
spielen Eltern mit ihren Sprösslingen. Das beweist doch, wie gut es uns geht.
Unser Land wächst und gedeiht, weil die Menschen wissen, dass ihre Kinder eine
Zukunft haben. Sie fürchten sich nicht, weil sie keinen Grund besitzen, sich zu
fürchten. Ich liebe die Menschen, Dahlerus. Jetzt sagen Sie mir bitte eins:
Warum sollten wir das alles aufs Spiel setzen? Diesen Menschen das Leben
vergällen, ihre Kinder gefährden, ihren Wohlstand riskieren? Warum sollten wir
das tun?«
    Göring sah Dahlerus fragend an. Der Schwede blieb eine Antwort schuldig.
Göring hatte auch keine erwartet.
    Nach einer kurzen Pause sprach er weiter. »Was ich Ihnen damit sagen will,
Dahlerus, ist Folgendes: Ich bin nicht daran interessiert, das deutsche Volk
in eine missliche Lage zu manövrieren. Ich möchte, dass es allen gutgeht. Ich
bin ein Mann des Friedens. Deshalb habe ich mich auch bereit erklärt, mit ihren
Freunden zu sprechen, deshalb habe ich General Bodenschatz heute Morgen zu
Hitler geschickt, um ihm von unserem erfolgreichen Treffen zu berichten. Ich
tue alles, damit die Völker Europas friedlich nebeneinander existieren. Auch zu
einer neuen Vier-Mächte-Konferenz wäre ich, um das mal vorwegzunehmen, unter bestimmten
Bedingungen bereit. Aber vorher muss ich noch etwas klarstellen. Denn weil ich
die Menschen liebe, bleibt mir manchmal nichts anderes übrig, als für diese
Liebe einzustehen, wenn sie bedroht wird. Gerade Sie, Dahlerus, müssten das
verstehen, als einer, der Gerechtigkeit so über alles stellt. Was in Polen geschieht,
ist nicht gerecht, sondern ein Affront gegen das deutsche Volk. Deutsche werden
angefeindet, geprügelt, ausgegrenzt. Diese Menschen nehmen nicht teil an dem
Wohlstand, der ihnen zusteht, sondern sie leben jämmerlich wie Hunde. Glauben
Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Für das Leben dieser Menschen müssen wir
kämpfen, Dahlerus, dafür müssen wir alles riskieren. Es sei denn, wir finden
eine andere Lösung. Und mit wir meine ich in diesem Fall Sie und mich. Krieg
oder Frieden, das ist die Bürde, die wir beide tragen müssen. Auch wenn mein
Kopf unter dieser Sonne glüht wie ein Hochofen.«
    Göring lächelte, lüftete seinen Hut, holte ein Tuch aus der Tasche und
wischte sich die Stirn ab. Dahlerus staunte über die Fähigkeit des
Feldmarschalls, blitzschnell umzuschalten, seine wahren Gefühle mit einem lausbubenhaften
Strahlen zu verschleiern. Aber der Schwede ließ sich nicht täuschen. Für einen
kurzen Moment hatte Göring die Maske des Diplomaten gelüftet, dahinter war ein
bissiges Tier zum Vorschein gekommen. Noch vor zwei Jahren galt, der
Feldmarschall in England als Mann mit blutbefleckten Stiefeln, als einer, der
über Leichen ging, um seine politischen Ziele zu erreichen. Erst allmählich
hatte sich das Bild etwas zu seinen Gunsten gewandelt. Aber die Bestie, das
ahnte Dahlerus, schlief nur. Göring konnte sie jederzeit von der Kette lassen.
Plötzlich fürchtete der Schwede sich noch mehr als ohnehin vor dem, was vor
ihnen lag. War ein Krieg wirklich zu verhindern? Da waren sie wieder, die
Zweifel, die ihn während seiner gesamten Mission begleiteten - nicht an deren
Ziel an sich, sondern daran, dies auch zu erreichen. Er hielt es für klüger,
erst mal zu schweigen.
    Göring drängte zum Aufbruch. »Kommen Sie, Dahlerus, lassen Sie uns fahren,
das ist weitaus angenehmer bei dieser Affenhitze.«
    Beide Männer gingen wortlos zurück zu dem offenen Mercedes, den der
Deutsche unverschlossen hatte stehen lassen.

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