JörgIsring-UnterMörd
Göring schien es nicht zu kümmern,
dass sich jemand an seinem Eigentum zu schaffen machen könnte. Deutschland war
sein Wohnzimmer, hier benahm er sich, wie es ihm gefiel. Die Männer stiegen
in den Wagen, Göring lenkte den Mercedes wieder auf die Straße und setzte die
Rundfahrt fort.
Dahlerus ergriff das Wort. »Eure Exzellenz, diese Vier-Mächte-Konferenz
...«
Der Feldmarschall unterbrach ihn. »... ist eine vernünftige Idee, das habe
ich Ihnen ja schon gesagt. Aber natürlich bedarf ein solches Unterfangen sehr
genauer Absprachen. Wir müssen ausloten, wie die Italiener und Franzosen zu
diesem Plan stehen. Solche Gespräche sind langwierig. Und wir müssen wissen, was
die britische Regierang denkt. Ein Scheitern einer solchen Konferenz hätte
verhängnisvolle Folgen, Dahlerus, das wissen Sie genauso gut wie ich. Damit
wäre das zarte Band, das wir gerade zwischen Deutschland und England zu
knüpfen suchen, endgültig zerrissen. Das können wir uns nicht leisten. Dann
wäre alles hinfällig, was Sie bisher auf die Beine gestellt haben.«
Der Schwede überlegte. Göring hatte recht, wenn er sagte, dass sie sich ein
Scheitern nicht leisten konnten. Aber er ging nonchalant darüber hinweg, dass
es die aggressive deutsche Politik war, die solche Gespräche überhaupt
notwendig machte. Und dass es kinderleicht war, alle Probleme aus der Welt zu
räumen - indem nämlich die Deutschen auf ihre überzogenen territorialen Ansprüche
verzichteten. Doch dies alles zu denken war die eine Sache, es vor Göring
auszusprechen, eine andere.
»Es freut mich, dass Sie unserem Vorschlag grundsätzlich beipflichten,
Herr Göring. Natürlich haben sie recht, was die unterschiedlichen
Empfindlichkeiten angeht. Ich glaube allerdings, dass wir nicht mehr lange
zögern dürfen. In den vergangenen Wochen habe ich den Eindruck gewonnen, dass
sich die Dinge fast täglich zuspitzen.«
Göring hob
beschwichtigend die Hand. »Na, na, nun bleiben Sie mal ganz ruhig, mein lieber
Dahlerus. Ganz so dramatisch ist die Lage nicht. Sie kennen meinen Einfluss auf
den Führer. Wenn ich ihm rate, in Verhandlungen einzusteigen, wird er es tun.
Die Zeit ist nicht unser Problem, sondern die widerstreitenden Interessenlagen
sind es. Die müssen wir unter einen Hut bekommen. Und deshalb müssen wir alles
gründlich vorbereiten.«
Dahlerus hatte so seine Zweifel, was Görings angeblichen Einfluss auf
Hitler betraf. Die beiden traten im Gegensatz zu früher selten gemeinsam auf,
und man munkelte, dass sie sich nur noch wenig zu sagen hatten. Andererseits
galt Göring immer noch als die rechte Hand Hitlers. Aber beeinflusste das
Hitlers Entscheidungen? Ob Görings Macht wirklich so groß war, wie von ihm
behauptet, würde sich bald zeigen.
»Ich hoffe, Sie haben recht.«
»Natürlich habe
ich recht. Zweifeln Sie etwa daran?« Göring betrachtete den schwedischen
Unternehmer amüsiert.
»Ich habe
gelernt, meinen Hoffnungen größeren Platz einzuräumen als meinen Zweifeln.«
»Das haben Sie
schön gesagt. Aber Hoffnung kann nur ein Baustein unseres Erfolgs sein. Der
andere ist sorgfältige Vorbereitung. Wenn wir so viel wie möglich vorab
klären, erleben wir hinterher keine Überraschungen. Deshalb müssen wir das
Ganze so offensiv wie möglich vorantreiben - und gleichzeitig im Verborgenen
operieren. Das wird nicht leicht, mein lieber Freund.«
Die beiden Männer vereinbarten, jeweils alles in ihrer Macht Stehende zu
veranlassen, um eine derartige Konferenz auf die Beine zu stellen. Dahlerus
sicherte zu, seine englischen Gesprächspartner zu informieren, die wiederum
bei ihrer Regierung vorstellig werden wollten, und er versprach, beim
schwedischen Premierminister dafür zu werben, sich als neutraler Gastgeber für
die Konferenz anzubieten. Göring sollte Hitler informieren und auf
diplomatischem Wege sondieren, ob Italien und Frankreich zu Gesprächen bereit
seien.
Mehr als zwei
Stunden fuhren die beiden Männer bereits über die Insel, und Dahlerus stellte
sich schon darauf ein, in einem Hotel zu übernachten. Der Zug nach Niebüll war
bereits vor einer halben Stunde abgefahren, es war der letzte an diesem Tag.
Angesichts ihrer weitaus wichtigeren Themen schien es ihm zu nebensächlich,
seine Heimreise anzusprechen. Aber Göring bewies Weitblick, und bei der neuerlichen
Einfahrt in den Bahnhof von Westerland zeigte sich, dass er auf manche Dinge
tatsächlich Einfluss nehmen konnte. Die Reichsbahn zum Beispiel. Ungeduldig
vor sich
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