JörgIsring-UnterMörd
seine Dienste angeboten hatte, waren sie erst skeptisch
gewesen, hatten ihn auf Herz und Nieren geprüft. Doch der Deutsche war ein
Überzeugungstäter, ein abgefallener Todesengel. Eine Mordmaschine, in
Deutschland perfekt gedrillt. Dass die Deutschen sich auf dieses tödliche
Handwerk verstanden, war nicht zu leugnen. Die bestmögliche Schule, spöttelte
Doyle bei sich. Und was für eine Ironie des Schicksals. Ein verlorener Sohn
stellt sich gegen das eigene Vaterland.
Das Leben schlägt
manchmal absurde Kapriolen, dachte Doyle. Heute Freund, morgen Feind.
Dazwischen lag nur ein Wimpernschlag. Solange er auf der Gewinnerseite stand,
beklagte er sich nicht. Besser, dass einer wie Krauss für statt gegen England
arbeitete. Viel besser. Der Hausherr schien sich zu sammeln. Krauss blickte
seinem Gegenüber direkt in die Augen. »Kommen Sie zur Sache, Doyle. Sie sind
nicht hier, um schlechten Kaffee zu trinken.«
Der Brite zog eine Augenbraue hoch. Also wusste Krauss doch, dass er einen
lausigen Kaffee machte. Vielleicht hatte er auch nur die Reste von gestern
aufgewärmt. Das schien wahrscheinlicher. Der Deutsche hatte recht - er war
weder hier, um schlechten Kaffee zu trinken, noch um über die Kunst des Kaffeekochens
zu lamentieren. Mit der Tür ins Haus fallen wollte er allerdings genauso wenig.
»Ich frage mich, wann Sie endlich auf Tee umsteigen, Herr Krauss. Selbst
der schlechteste Tee ist genießbarer als Ihr bester Kaffee. Und das hier ...«,
Doyle nickte leicht gen Tisch, »... ist nicht Ihr bester.«
»Sie würden die Deutschen am liebsten mit Teebeuteln bewerfen, bis sie um
Gnade winseln. Darf ich Ihnen einen guten Rat geben? Das funktioniert nicht.«
»Seien Sie sich da nicht so sicher. Teetrinker sind kultivierte Menschen,
und die lösen ihre Probleme auch mal bei einer Tasse Darjeeling. Davon scheinen
mir Ihre Landsleute allerdings weit entfernt zu sein.« Doyle hielt einen Moment
inne. »Weiter entfernt denn je.«
Krauss senkte den Kopf. »Da haben Sie recht. Nur wissen wir das schon
länger - und ich nehme an, ich soll meinen Teil dazu beitragen, die
Verhandlungsposition Englands zu stärken.«
»In gewisser Weise, ja.«
Doyles und Krauss' Augen trafen sich kurz. Der Engländer hielt dem kühl
taxierenden Blick des Deutschen nicht lange stand. Zum einen lag das an dessen
weit auseinander stehenden hellblauen Augen, die Doyle an die dünnen Stellen
im Eis auf einem zugefrorenen See erinnerten, dort, wo die Gefahr groß war einzubrechen.
Vor dem, was unter der Oberfläche verborgen lag, fürchtete er sich. Dazu gesellten
sich der blonde Haarschopf und die scharf geschnittenen Gesichtszüge. Eine
Narbe am rechten Kinn relativierte die perfekte Physiognomie. Trotzdem ein
Arier wie aus dem Rasse-Handbuch, dachte der Brite, fast lächerlich
klischeehaft. Aber das Äußere des Deutschen war ein wesentliches Kriterium
gewesen, warum er als junger Mann ausgewählt worden war. Einer wie er entsprach
dem Idealbild eines arischen Herrenmenschen. Genetische Elite. Dass die krude
Psychologie funktionierte, merkte Doyle daran, dass er sich Krauss gegenüber
unterlegen fühlte. Zum Teufel mit diesen Deutschen! Allein die Vorstellung,
dass sie Europa beherrschen könnten, machte ihn krank. Um das zu verhindern,
schien ihm jedes Mittel erlaubt. Krauss war eines davon - und wahrlich nicht
das schlechteste.
»Im Hauptquartier
ist man der Auffassung, dass die derzeitigen Ereignisse unorthodoxes Handeln
verlangen. Man würde dort, ich will es mal vorsichtig formulieren, gerne einen
parallelen Weg zur offiziellen Politik der Beschwichtigung einschlagen - um
noch schneller ans Ziel zu gelangen.
Natürlich wird ein solcher Weg öffentlich nicht verlautbart. Die Regierung
würde sich, käme je etwas zur Sprache, davon in jeder Form distanzieren.«
Doyle sprach sehr
leise, hoffte, dass der Raum keine versteckten Wanzen enthielt. Krauss hatte
sein eigenes Haus als Treffpunkt vorgeschlagen. Dort fühlte er sich sicher, und
der Deutsche verstand sein Geschäft. Letztendlich misstraute Doyle ihm - einer,
der kaltblütig Menschen ermordete, war zu allem fähig. Jetzt führte ohnehin
kein Weg mehr zurück. Er war dabei, die Karten auf den Tisch zu legen. Und
bisher hatte Krauss zuverlässig bewiesen, dass er mit im Boot war, wenn es
darum ging, den Nazis zu schaden.
»Das galt doch für alle unsere Operationen.« Krauss sprach ohne irgendeine
hörbare Regung. Wie ein Roboter, dachte Doyle. Wenn Hitler eine Armee
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