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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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unheimlich,
hielten ihn für emotionslos, gleichgültig anderen gegenüber. Das stimmte jedoch
nicht. Richard war nicht unfähig zu lieben, er fixierte nur all seine Gefühle
auf einen einzigen Menschen. Damals war Edgar dieser Mensch gewesen, für jeden
anderen heuchelte Richard höchstens wohlwollendes Interesse. Niemandem hatte
er in seiner Jugend so nahegestanden wie seinem älteren Bruder, nicht einmal
seinen Eltern. Mittlerweile hatte sich das Blatt grundlegend gewendet. Krauss
hasste Edgar wie keinen anderen Menschen auf dem Planeten - seine tief
empfundene Liebe von damals war ins gegenteilige Extrem umgeschlagen.
    Damals aber
erschien ihm nichts erstrebenswerter, als seinem Bruder nachzueifern. Edgar war
ihm in allem voraus, war weltgewandt und allwissend, charmant und
schlagfertig, stark und schön. Frauen fielen bei seinem Anblick gleich gefügig
ins Bett, so schien es Richard zumindest, wenn er Edgars ausgeschmückte
Geschichten anhören musste, bei denen irgendwann stets mindestens ein hübsches
Mädchen auftauchte. Richard konnte es kaum abwarten, ebenfalls siebzehn zu
werden, denn das war das Alter, in dem das Leben erst richtig begann. Nur zwei
Jahre trennten ihn von seinem Bruder, und doch fühlte er sich neben ihm wie ein
Neandertaler. Vor allem im Beisein von anderen, wenn sein Bruder seine
Überlegenheit ausspielte. Deshalb genoss er es besonders, Edgar ganz für sich
zu haben. So wie auf dem Steg an jenem großartigen Sommertag, der Krauss so
entrückt schien wie die Ära der Pharaonen. Sie hatten die Beine über dem Wasser
baumeln lassen, saßen nur in ihren Badehosen auf den windschiefen Planken, die
nackten Oberkörper im gleißenden Sonnenlicht. Es prickelte auf der Haut. Edgar
war einen Tag zuvor nach München gefahren, hatte dort Kameraden getroffen, zumindest
hatte er das den Eltern erzählt. Die hatten es hingenommen, kaum nachgefragt,
der Junge war schließlich fast erwachsen. Richard aber wollte alles wissen über
diese ominösen Kameraden.
    »Sag schon, wer's war«, stichelte er, »bestimmt Kameradinnen, nicht wahr?«
    Edgar hatte nur spitzbübisch gegrinst. »Sei nicht so neugierig, Brüderchen.
Musst nicht alles wissen.«
    »Muss ich wohl, weil es ja blöd wäre, wenn ich dem Vater was Falsches
erzählen würde. Blöd für dich, natürlich.«
    »Du bist ja ein ganz Gewitzter. Aber du weißt ja: Wer seine Nase in anderer
Leute Angelegenheiten steckt, für den gibt es oft ein böses Erwachen. Könnte
also sein, dass du eines Morgens ohne Nase dastehst.«
    »Nun sag schon, Edgar.«
    Er quengelte, war das Geplänkel schnell leid gewesen, ahnte, dass sich
hinter dem Besuch in München mehr verbarg, etwas Größeres, Dunkleres.
Normalerweise ließ Edgar sich nie lange bitten, tischte ihm seine
Frauengeschichten brühwarm auf, schmückte sie so unwahrscheinlich aus, bis
Richard nur noch ungläubig stöhnte. Manchmal hielt er sich theatralisch die
Ohren zu, um Edgar auf die Palme zu bringen. Insgeheim aber liebte er dessen
Berichte, seine Münchhausiaden über amouröse Verwicklungen und abenteuerliche
Eskapaden. Sie verkürzten ihm die Zeit bis zum Erwachsenwerden. An diesem Tag
aber hatte er das Gefühl gehabt, dass irgendetwas anders war, ohne genau sagen
zu können, was und warum. Edgar, der seine gute Laune sonst wie eine Trophäe
vor sich hertrug, wirkte für seine Verhältnisse merkwürdig verschlossen. Er
versuchte es zwar zu überspielen, aber es gelang ihm nicht. Das, was da in ihm
schlummerte, wollte heraus. Lieber heute als morgen.
    Edgar zwinkerte ihm zu. »Wer zuerst an der Badeinsel ist. Wenn du vor mir
anschlägst, erfährst du die ganze Geschichte. Ehrenwort.«
    Richard hatte seinen Bruder kurz angesehen und war ohne ein weiteres Wort
in den See gesprungen.
    Edgar hatte hinter ihm hergerufen. »He, Teufel noch
mal ...«
    Sein Bruder setzte sich auf, ging ein paar Schritte auf dem Steg zurück,
nahm Anlauf und hechtete mit einem gewaltigen Kopfsprung in den See. Trotz
seines kleinen Vorsprungs besaß Richard keine wirkliche Chance. Edgar war
damals einen Kopf größer als sein jüngerer Bruder, sportlich durch und durch.
Er schwamm wie eine Forelle, schoss durch den unbewegten See, fast ohne Wellen
zu schlagen. Richard hörte ihn kaum einmal atmen, weil er selbst lautstark vor
sich hinprustete. Schon nach der halben Distanz zu der notdürftig aus leeren
Fässern und Holzplanken zusammengezimmerten Insel hatte Edgar ihm knapp eine
Länge abgenommen. Krauss erinnerte sich, wie

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