Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
leise im Gespräch miteinander, auf den Pünktlichkeitsfanatiker Holtrop, der jede Sekunde ins Zimmer stürmen und die Sitzung eröffnen würde. Dass der Unpünktlichkeitskönig Thewe noch nicht da war, war normal. Thewe war Doppelchef der Mereo Dienste und der alle Krölpa-Aktivitäten Asspergs führenden Arrow PC , er hatte neben den Chefrechten zusätzliche Sonderrechte, arbeitete viel von zuhause, kam später, ging früher und war Freitag und Montag meist nicht in Krölpa, auf Dienstreise oder privat unterwegs. Trotzdem war er als Chef nicht nur unbeliebt, weil er, wenn er da war, wenig sichtbar war, wenig Druck machte und die Mitarbeiter auf die Art sozusagen passiv doch auch motivierte.
Zwischen der Securo und der MEREO Dienste, die über der Securo zwei Stockwerke im DDR -Altbau und einige Etagen im neuen Arrowhochhaus hatte, gab es vielfache Dienstleistungsbeziehungen zu gegenseitigem Nutzen. Die Securo beobachtete Kunden, auch Kunden der Mereo, und lieferte die Ergebnisse, die die Ausspähung dieser Kunden ergab, als Kundenanalysen an die Mereo. Im Gegenzug bezog die Securo von der Mereo Schuldansprüche gegenüber säumigen Kunden. Es ging zwischen den beiden Asspergtöchtern Securo und Mereo also um Geschäfte mit Wissen über Firmen und Personen, Inkasso-Aufträge und Drohung mit Gewalt. Zuletzt waren jährlich aber einige hunderttausend Mark zwischen den beiden Firmen versickert. Das war im Nachhinein zwar immer wieder noch einmal irgendwie erklärbar und dann auch korrekt darstellbar gewesen, aber in Verbindung mit den anhaltenden Complianceproblemen bei der gesamten Arrow PC ein Holtrop beunruhigendes Geschehen, das final eventuell sogar ihn selbst bedrohte, weshalb er sich jetzt endlich entschlossen hatte, die kranke Stelle weit im Gesunden zu exzidieren. Unter Umgehung von Thewe, auch um Thewe unter Druck zu setzen, hatte Holtrop die Beragunternehmensberater, die ihm von seinem Berliner Statthalter Leffers empfohlen worden waren, mit einem Gutachten beauftragt, dessen erste Zwischenergebnisse in der heutigen Sitzung präsentiert werden sollten. Der Beginn der Sitzung war für halb zehn Uhr vorgesehen, aber die Hauptpersonen fehlten immer noch, Holtrop war nicht da, Thewe fehlte. Um zwei Minuten nach halb zehn: nichts. Um vier nach halb: nichts. Auch um fünf nach halb zehn: immer noch kein Holtrop, das war sehr ungewöhnlich. Die leisen Gespräche waren immer noch leiser geworden und hatten schließlich aufgehört. Der Wind warf den Regen gegen die Billigfenster, drängte gegen Fugen und Scharniere. Die Beragberater zeigten offen, aber nicht ungebührlich detailinteressiert die wache Neugier, mit der sie in den letzten vier Wochen hier Gespräche geführt und Unterlagen gesichtet hatten. In öligen Wasserschlieren kroch das Regenwasser an den längst nicht mehr säuberbaren Duplexfensterscheiben verschmutzt nach unten. Dann wurde Meyerhill nach draußen gerufen. Er kam zurück und erklärte: »Es dauert noch ein bisschen, sie kommen gleich.« Er setzte sich wieder, blickte auf die Uhr, synchron tat dies auch die Kommunikationschefin Arrow PC , Frau Wiede, für die Außendarstellung von Asspergs gesamter Krölpagruppe zuständig, Blickwechsel zwischen den beiden, sie nickten, wobei jeder den anderen auf ein eventuell vorliegendes Hintergrundwissen hin auszuforschen versuchte, beidseits negativ. Es war Holtrop gelungen, die Information über Thewes bevorstehende Entlassung geheim zu halten. Obwohl in Schönhausen vier Leute in den Plan eingeweiht waren, hatten die davon direkt betroffenen Asspergianer in Krölpa nichts erfahren.
Thewe hatte Holtrops Türe von außen zu sich hergezogen, die Aluminiumklinke nach unten gedrückt und, während er das Namensschild DR. J. HOLTROP sah und las, die Türe leise, langsam zugemacht. Der Vorgang geschah automatisch und war von stark aufgewühlten Gefühlen begleitet, die aber unterhalb der Verbalitätsschwelle blieben. Das Handeln setzte sich selbsttätig fort. Thewe war im engen Schacht des Gangs, nachdem er sich von der Türeabgewendet hatte, unterwegs nach hinten, zurück zu seinem Büro, der Boden aus laschgelbem Eternitbelag, in der Mitte stark abgegangen, wich bei jedem Schritt merklich nach unten zurück, der berühmte Tag danach hatte also schon angefangen. Thewe wurde gedanklich klarer, zugleich aufgebrachter und war dann plötzlich, als er hinten am absurd verfinsterten Ende des Gangs die Stimme seiner Sekretärin, offenbar im Gespräch mit dem
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