Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Mitteilung, ob auf Holtrop noch gewartet oder sofort angefangen werden solle. Frau Rathjen stand gerne auf, zeigte allen ihren Körper und ging hinaus. Im Raum war es still, niemand rührte sich, keiner sagte etwas, es war eine Stille, für die Thewe die Verantwortung zugewiesen wurde. Aber auch Thewe sagte nichts. Die Menschen waren stumm, und von draußen schlugen Wind und Regen an.
IX
»Das Gutachten der Berag hat drei Teile«, erklärte der Sprecher der beiden Beragberater, Mathias Salger, 35 , schmal und hochgewachsen, kurz rasierte Haare, Charakterkopf, und zeigte dabei auf sein erstes Powerpointbild rechts an der Wand, wo drei verschiedenfarbige Rechtecke zu sehen waren und ebendies zu lesen war, was er sagte. »Erstens: das System Securo, zweitens: das System Mereo Dienste, drittens: Interpenetration und Kommunikation, Interaktion und wechselseitige Leistungen zwischen Securo und Mereo.« Mit dieser Überschrift war eigentlich alles schon gesagt. In ein schülerhaft ordentliches Schema wird die Pseudopräzision einer möglichst angeberhaft abstrakten Begrifflichkeit, hier billig der Systemtheorie entlehnt, quasi automatisch hineingefüllt. Die so erzeugte Wissenschaftlichkeitsanmutung war dazu da, das Gutachten möglichst weit weg von der Realität der begutachteten Wirklichkeit zu positionieren, um seiner Funktion zu entsprechen, Realwissen über Realität zu stören. Der Boom der Beraterindustrie seit den eben vergangenen 90 er Jahren des XX. Jahrhunderts hatte auch darin seine Ursache, dass den Leuten in Entscheiderpositionen das Urteilszutrauen verlorengegangen war, es fehlte die Freude daran und der Mut, das Wirre der Realität mit eigenen Urteilsintuitionen erfassen zu wollen. Lieber wurden vier Gutachten eingeholt, je teurer, umso besser, als dass man sich in der irrational witternden Weise, so wie die Vernunft der Urteilskraft es vorgab, selbst ein Bild vom zu beurteilenden Gegenstand, hier etwa den insgesamt klandestinen Strukturen am Asspergstandort Krölpa, gemacht hätte. Außerdem lieferte schon der Prozess der Begutachtung von außen erwünschte Nebeneffekte mit, die jede Innenanalyse als falsch ausgewiesen hätte, die vom Auftraggeber des Gutachtens aber genau gewollt waren: das Gutachten sollte auch Unruhe stiften, Angst erzeugen, Instabilität schaffen.
Salger fing an und sagte: »Erstens, Bestand, konstruktive Beschreibung des Uneinsehbaren.« Eine Pause folgte, um diese Worte abzusetzen und als Überschrift auszuweisen. »Moment«, sagte Meyerhill, hob eine Hand und schaute zu Thewe. Er wollte Thewe einbeziehen, ihm Allianz anbieten gegen die Beraterpoesie Salgers. Aber Thewe saß gerade und ohne zu schwanken da und hielt seine Augen unbewegt auf Salger gerichtet, um so mitzuteilen: »Almosen der Zuwendung wünsche ich nicht, so kaputt bin ich noch nicht.« Meyerhill schaltete sofort um und rief: »Gut, weiter!«, und Salger nahm seinen Vortrag wieder auf. Er redete zuerst über die Securo. Ursprünglich war die Securo, die derzeit 135 Mitarbeiter hatte und neunzig Millionen Euro Umsatz machte, eine kleine Fünfmannabteilung innerhalb der alten Assperg GmbH gewesen, eingesetzt zur Überwachung der Abteilung Rechnungswesen, dann hineingewachsen in die Bereiche Information und Personal, Informatik und Steuerung. Eine Zeitlang hatte diese Informationsabteilung auch die Redaktion des firmeninternen Mitarbeiterbulletins Asspergreport organisiert. Erst 1983 , nach dem Organisationsdesaster um die vom Stern erfundenen Hitlertagebücher, hatte Assperg die Abteilung als eigenständige Firma für Sicherheit und Selbstkontrolle ausgegliedert und der Asspergakademie in Hamm zugeordnet. Die Aufgaben damals waren: Unabhängige Evaluation einzelner Unternehmensbereiche der Assperg AG ; Analyse von deren Output und Organisation; Analyse der Kommunikation einzelner Bereiche innerhalb der Assperg AG untereinander; Analyse von deren Beziehungen nach außen; Evaluation der mit Assperg kooperierenden Fremdfirmen, Zulieferer und Kunden. Mit diesen Aufgaben war die Securo gewachsen und schon 1992 von Hamm nach Krölpa, an den im Jahr davor von der Treuhand übernommenen neuen Druckstandort, verlagert worden, wo Assperg seine nach Osten gerichteten Operationen und bestimmte Stabsbereiche der übergeordneten Holding zentral konzentrierte.
Heute war das Geschäft der Securo zur Hälfte: Aufträge aus der Assperg AG , die, wenn sie nach innen gerichtet waren, in enger Abstimmung mit der ebenfalls in Krölpa
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