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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Justitiar Blaschke, hörte, umgekehrt, zurückgegangen, an Holtrops geschlossener Zimmertüre wieder vorbei und auf das hellere Gegenende des Gangs zu, wo der sich schräg zur Teeküche ausweitete. Unterwegs hatte sich Thewes Blick wieder gehoben. Er sah die teils offenen, teils angelehnten Türen seiner Mitarbeiter vorbeiziehen, grüßte in zwei Zimmer hinein, wo sein Vorbeigehen vom Aufschauen eines Gesichts beantwortet worden war, ging beim dritten nicht einfach nur weiter, sondern hielt an, blieb in der Türe stehen und wechselte dort mit den IT -Mitarbeitern Berstner und Wonka ein paar Worte über die Grauslichkeit des Wetters und die ganz guten Vorhersagen für das Wochenende.
    Durch das Innenfenster zum Hof konnte Thewe in seinem eigenen Zimmer auf der anderen Seite des Hauses den dort auf ihn wartenden Blaschke dastehen, dann auf und ab gehen sehen, außerdem zwei Sicherheitsleute, die an seinen Regalen beschäftigt waren. In der Teeküche, eine Gangecke mit Theke davor, auf der eine bunt gefüllte Obstschale und ein Strauß frischer Herbstblumen standen, waren drei Kollegen, zwei Frauen aus der Registratur und ein junger Mann, den Thewe nicht kannte, am Hantieren mit Obst, Cola, Kaffee und im Gespräch über Diätcoaching mit Lassepilates, den Speiseplan der zurückliegenden Woche und das heutige Essen, weißer Fisch mit gelben Augen. »Guten Tag«, sagte Thewe, »hallo« der junge Mann, »ach!«, erfreut die Frau Ferre, und »gestern noch neu!«, auf anderes bezogen, ihre Kollegin Petanie-Köster. Während die Unterhaltung lief, nahm Thewe einen Kaffeemug aus dem Hängeschrank über der Spüle, stellte ihn in der Kaffeemaschine auf das Gitter und drückte auf den Knopf mit dem Symbol der doppelten Portion, zwei Tassen im Umriss. Dann lärmte die Maschine los und übertönte das Gespräch, denn die Bohnen wurden jeweils frisch gemahlen. Und Thewe dachte in diesen Lärm hinein, immer wieder musste er neu die neue Lage ganz erfassen: »okay! okay!« Der Kaffee tröpfelte in die Tasse, eine Düse setzte heiß dampfendes Wasser, eine zweite weißen Schaum dazu, fertig war der letzte Cappuccino.

VIII
    Thewe machte sich wenig Illusionen über die realen Kräfteverhältnisse, aber so wie Holtrop sich das vorstellte, musste er sich hier nicht aus dem Haus jagen lassen, quasi im Vorbeigehen die hinterste Treppe in den Keller hinuntergestoßen, und keiner hat etwas gesehen. »Nein«, dachte Thewe. Den Cappuccino bestreute er mit Zucker aus einem Papierrohr, das er aufgerissen hatte, rührte den Zucker ein und lehnte sich zurück an die Theke. Er hielt den Kopf eingezogen, sein sehr großer Körper war mit den Jahren zwar nicht richtig fett geworden, aber doch weichlich in alle Richtungen auseinandergegangen, von einem allerbesten Anzug allerdings zusammengehalten. Der junge Mann, der sich Thewe gegenüber als Mitarbeiter der Abteilung Zeitkontrolle vorgestellt hatte, bot Thewe eine Zigarette an. Thewe bedankte sich, lehnte ab und dachte, »ich sollte jetzt so langsam gehen«, blieb aber an die Theke gelehnt stehen, rührte mit dem Löffel in seinem Kaffeekrug herum und nippte manchmal vorsichtig an der noch sehr heißen Cappuccinoflüssigkeit. Schließlich sagte er halblaut: »Das schmeckt eigentlich ganz gut.« Die Kolleginnen aus der Registratur konnten bestätigen, dass die Maschine, die in letzter Zeit immer kränker vor sich hingeröchelt hatte, seit der Wartung neulich wieder viel frischeren und besseren Kaffee machte. Anschließend folgte ein Gespräch über Kaffeemaschinenkaffee, Espressomaschinen, solche für zuhause, im Büro, in Italien in den dortigen Espressobars, über das berühmte Einstein in Berlin, den Dampfdruck, die Filter, die Reinigung, die Zahl der hergestellten Einheiten und die Qualität des erzeugten Espresso in Abhängigkeit von dieser Zahl, die Wartung und die Wartungskosten und dann all das Gesagte wieder im losen Reigen von vorn. Thewe sagte dazu nichts. Nichts am Gesagten war neu, der Text war bis in die letzte Formulierungseinzelheit hinein fertig durchstandardisiert und ohne jede inhaltliche Information, wurde aber so ausgetauscht, als würde mit ihm ein hochinteressantes Wissen, zugleich eine hochindividuelle Besonderheit des sich selbst damit darstellenden Sprechers mitgeteilt. Im Kern bestand diese Individualitätsmitteilung darin, dass nichts individuell Abweichendes von diesem Individuum her drohte, dass auch dieser Sprecher das von der Allgemeinheit Vorgeschriebene kannte und

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