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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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sitzenden Konzernsicherheitsabteilung von Sprißler durchgeführt wurden, zur anderen Hälfte: Aufträge von Drittfirmen, in letzter Zeit vermehrt auch Banken, Evaluationen der mit diesen Auftraggebern in Kontakt stehenden Klienten, Zulieferer und Kunden zu erstellen. Diesen Anforderungen entspreche der Binnenaufbau der Securo nach Einschätzung der Berag heute nicht mehr in optimaler Weise, hatte Salger erläutert. Er führte als Probleme auf: akkumulatives Wachstum separater Einheiten; flache Hierarchien, kaum zu führen, schwer zu überwachen; riskante Methoden der Beschaffung von Informationen, strukturell am Rand der Legalität. Der Subtext des von Salger Gesagten war: die von der Securo praktizierte Informationsaggregation ergibt zu viel zu wenig kontrollierte Information. Die daraus resultierende Macht tendiert zu Missbrauch, Erpressung, Betrug, Gewalt, was von der Firmenführung nicht verhindert werden kann, aber verantwortet wird. Meyerhill, der davon direkt betroffen war, machte während Salgers Rede durch Zustimmungszeichen mimisch deutlich, dass Salger Ansichten von Meyerhill wiedergab, was Salger beim Reden in richtung Meyerhill ebenfalls deutlich werden ließ. Gerade hatte Salger mit der Einzelanalyse der Hauptabteilung Auswertung angefangen, da krachte die Türe.
    Die Türe flog auf, Holtrop stand da, demonstrativ unbewegt. Ein Eiswind sollte von Holtrop her in den Raum hineinfegen. Holtrops unbewegtes Dastehen sagte: »Da sitzt ihr also alle und schaut mich an.« Der Zorn, den er so übermitteln wollte, kam aber nicht an. Thewe hatte sich als einziger überhaupt nicht bewegt. Er war gefeuert, Holtrop konnte ihm nicht mehr drohen. Holtrop merkte, dass er keine Macht mehr über Thewe hatte, das machte ihn hilflos. Thewe provozierte ihn mit seiner Indolenz, wogegen Holtrop sich nicht wehren konnte. Er hatte nicht erwartet, dass Thewe sich der Anordnung, sich von Blaschke vor die Türe bringen zu lassen, widersetzen würde. Diese Fehlkalkulation machte Holtrop wütend. Thewe war die vor ihm sitzende Niederlage dieses Morgens, Holtrops Machtlosigkeit als echter, lebend dasitzender Mensch. »Thewe!« dachte Holtrop, fasste sich und betrat den Raum. »Machen Sie weiter!« sagte er scharf. Das war so lächerlich knapp und böse befohlen, dass Salger nicht sofort reagierte. »Was IST ?« rief Holtrop, trat näher, ergriff den nächstbesten Stuhl und setzte sich. »Nichts«, sagte Salger. »Was ist denn noch!« rief Holtrop noch einmal und warf beide Hände allen entgegen, die am Tisch saßen: Frau Rathjen, Frau Wiede, der zweite Beragmann Priepke, Meyerhill und Diemers. Thewe registrierte den Wutausbruch Holtrops ohne erkennbare Regung. Nach bekannter Chef-dreht-durch-Regel wurden die Untergebenen umso entspannter und souveräner, je lauter und inadäquater der Chef gerade durchdrehte. Holtrop haute noch zweimal auf den Tisch, inzwischen fast schon ohne Wut, weil auch ihm die Lächerlichkeit seines Auftritts inzwischen bewusst geworden war, und sagte, wobei er alles quasi zurücknahm: »Jetzt machen Sie halt bitte endlich weiter, verdammt nochmal, danke.« Und in den ersten Satz Salgers hinein klingelte mit einem Brummton das vor Thewe am Tisch liegende Telefon von Berstner. Thewe nahm es auf, sah auf dem Display den Anruf von Wenningrodes Sekretariat, drückte im Aufstehen die grüne Taste, um das Gespräch anzunehmen, meldete sich und verließ den kleinen Konferenzsaal.

X
    Die folgende Stille im Konferenzsaal, die durch Thewes Weggehen verursacht worden war, dauerte ein paar Blickkontakte lang. Salger schaute zwischen Meyerhill und Holtrop hin und her, Meyerhill zu Holtrop und Frau Wiede, die schaute zu Holtrop, aber Holtrop ignorierte alle Blicke und schaute starr ins Nichts der Tischplatte vor sich, ohne die auf ihn gerichteten Blicke und ihre Frage aufzunehmen. Zuletzt war diese Darstellung des Beleidigtseins so lächerlich geworden wie zuvor Holtrops etwas zu lange ausagierte Wut. Holtrop nickte Salger zu, und Salger fing wieder zu reden an. Aber nach wenigen Sekunden stand Holtrop, der stark angespannt dasaß, plötzlich vom Tisch auf und ging ohne ein Wort der Erklärung Thewe hinterher nach draußen.
    Thewe war, während er darauf wartete, dass Wenningrode, zu dem er durchgestellt werden sollte, abnahm, sofort nach links gegangen und hatte die Türe zum Treppenhaus gerade hinter sich zugemacht, als Holtrop auf den Gang hinaustrat und nach beiden Richtungen hin schaute, niemanden mehr sah und zum

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