Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
Vom Netzwerk:
Sie denn hier, Chef!« Von hinten legte Baufachpolier Ostrowski Thewe eine Hand auf die Schulter. Thewe hob seinen Kopf hoch und drehte ihn nach hinten zu Ostrowski um. »Wir hatten gestern wieder Baustandssitzung. Wie läuft es aktuell bei euch?« Ostrowski machte eine Geste der Vergeblichkeit. »Sie sehen es selbst.« Thewe drehte sich ganz zu Ostrowski um und schaute ihm ins Gesicht. Wieder gab es in Thewes Endhirn eine Fehlverschaltung, denn er hörte in sich die Worte: »die reitenden Boten des Todes, die reitenden Boten des Todes«, die keinen Bezug zu Ostrowski hatten, eine Zeile aus einem Text war durch Ostrowskis Gesicht in Thewe aktiviert worden, aber diese Sinnesverwirrung zwischen dem Gesehenen und der irrationalen Musikalität der Worte bewirkte ein Aufleuchten in Thewes Geist, was Ostrowski, obwohl Thewe ihm nicht direkt in die Augen schaute, registriert hatte, und er sagte im Ton einer Ermutigung: »Wir fahren zum Thai-Imbiss, kommen Sie mit!« Bei diesen Worten packte Ostrowski mit seiner rechten Hand den linken Oberarm von Thewe, der Impulsaustausch funktionierte jetzt in Gegenrichtung direkt physikalisch, Thewe wich erschreckt zurück, die Berührung wurde dadurch beendet, zugleich nahm er, inhaltlich gegensinnig, den Vorschlag verbal an: »Mache ich gern.« »Fahren Sie mit uns?« »Ich fahre lieber selber.« Im Halblicht der Halle sah Thewe auf die Rohre aus Stahl, den Dreck am Boden und die überall herumstehenden Geräte für Handwerker. Er dachte an Aktivitäten von früher, was ihn aber nicht vitalisierte, sondern betrübte und impulsiv empörte. Der Plötzlichkeit der geplanten Ausstoßung seiner Person aus dem Kreis der Lebenden wollte er sich, sagte sich Thewe, wie er hinter Ostrowski herging, widersetzen, Ostrowski ging mit kräftig auftretenden Schritten voran und Thewe ihm hinterher.
    In der zukünftigen Kapelle, wo auch Yogameditationen stattfinden sollten, wenn die Anregungen des alten Assperg, der nicht nur als Hobbyarchitekt und Hobbyphilosoph, sondern auch als Hobbyspengler an umfassenden Weltuntergangsszenarien und niemanden ausschließenden Weltverbesserungsideen herumdengelte, erst einmal gebaute Wirklichkeit geworden sein würden, saßen die Männer von Ostrowskis Arbeitstruppe und warteten auf ihren Chef. Sie nickten Ostrowski zu und redeten weiter, sahen dann Thewe, nahmen minimal Haltung an, ersparten es Thewe aber, durch übertriebene Signale der Rangakzeptanz von ihnen ausgestoßen und verhöhnt zu werden, Resultat des allgemein freundlichen Theweschen Naturells, das im Auftreten sichtbar wurde, Freude an freundlichen Menschen, Melancholie und Naivität. Ostrowski sagte zu den Männern: »Die Lieferung der Pappen verspätet sich, wir fahren zum Thai.« »Wann kommen die Pappen?« »Heute Nachmittag oder morgen.« »In der Früh?« »Eher am Nachmittag.« Ostrowski drehte sich von den Männern ab, zeigte ins Dunkel der Halle und sagte zu Thewe: »Jetzt wurde hier auch noch Blei gefunden.« Thewe antwortete: »Kontaktblei oder alt versackte Reste?« »Benzolschorf, ganz neu, aus einer früheren Verkippung.« »Nicht schön.« »Nein.« Thewe nickte. Ostrowski drehte sich wieder zur Gruppe, die Männer saßen da und hatten aufgehört, sich zu unterhalten. Ostrowski: »Können wir dann gehen?« »Ob du kannst, weiß ich nicht.« Das war Günsche, er lehnte an einer Kiste am Rand und schaute sich nach den anderen um. Ohne auf Günsche zu reagieren, setzten sich die anderen Männer in Bewegung. Ostrowski ging aufGünsche zu und sagte zu ihm: »Thai!« »Habe ich verstanden«, sagte der. In träge fließender Osmose bewegte sich die Gruppe durch den Gegenstandswiderstand der Halle auf den Ausgang zu. Thewe ging mit. Sie kamen in der zukünftigen Kantine an der mit silbernen Planen abgedeckten Bleiverkippungsstelle vorbei, daneben standen Stümpfe aus Beton. An die Wände waren mit Leuchtschrift Graffitiparolen aufgesprayt, unlesbare Worte, aber auch Worte wie Astralstrumpf und Sakralstumpf standen da, oben ragten aus den abgeschnittenen Betonsäulen Stahldochte heraus, zwischen den Stümpfen waren T -Träger aus Metall aufgelegt, auf der so gebildeten Brücke lagen Säcke mit Gips, Sand und Zement, darunter umgestoßen eine Betonmischmaschine. Die Pfütze der dahinkriechenden Männer entließ einen Einzelmenschen, Lenting, der auf die Betonmischmaschine zuging, um sie im Vorbeigehen aufzustellen. Thewe wollte helfen, stolperte, die Männer lachten. Richtung Eingang wurde es wieder

Weitere Kostenlose Bücher