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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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schon im Aufzug. Oben stand er ruhig bei Frau Därne. Er hatte die Reise abgesagt. »Rufen Sie Frau Rösler an! Geben Sie her!« Dann war Justitiar Blaschke, weil er ins Zimmer kam, dran, und Holtrop hatte Blaschke, der doch tatsächlich die Pforte sperren hatte lassen, um Thewe daran zu hindern, das Gelände zu verlassen, gefragt: »Sind Sie jetzt auch schon verrückt geworden?« »Nein.« »Das ist gut zu hören.« Im eigenen Zimmer nahm Holtrop sein Telefon und führte weitere Gespräche, mit Riethuys, dann mit Ben Sherman, mit Fame Scarlett, Anruf bei Leif Randt, zuletzt bei Leffers in Berlin. Holtrop war wieder bester Stimmung und redete animiert in sein Telefon hinein, nach dem Auflegen stand er schweigend am Fenster. Unten sah er die Menschen. Holtrop hatte die Reise in die USA offiziell abgesagt, aberRiethuys damit beauftragt, ein Ticket nach New York zu buchen, abgehend von Berlin, sich selbst morgen in Schönhausen bereit zu halten, er hatte das Interview mit dem Handelsblatt durch Dirlmeier verschieben lassen und Leffers für heute Abend zum Gespräch bestellt. Es war zwanzig nach zehn, und unten ging jetzt tatsächlich, ja, da kam er: Thewe dahin. Holtrop sah, wie Thewe, das Jackett zum Schutz gegen den Regen über den Kopf gezogen, auf seinen Jaguar zuging, springend fast, die Türe öffnete und sich groß und schwarz, wie er nun einmal gemacht war, in seinen Jaguar hineinfaltete, »lächerlich«, dachte Holtrop, also doch immer noch wütend, und schimpfte in sich auf Thewe und dessen Jaguar.
    Der Motor ging an, brummte, schnurrte, die Wegfahrsperre war also nicht aktiviert. Thewe trat auf die Bremse und stellte den Ganghebel auf Retour, ließ die Bremse langsam los, und der Wagen rollte zurück. Er drehte sich um und schaute über die Schulter nach hinten. Rückwärts fuhr er aus der Parklücke heraus, drehte sich wieder nach vorn, hatte den Gang auf Drive gestellt, Musik angemacht, und in dem Moment, als er tief in seinen Ledersesselsitz hineinfederte, als der Wagen vom Parkplatz auf die Straße fuhr, durchzuckte ihn das Glück: der Gedanke, hier einfach abzuhauen. Er drückte aufs Gas, die Reifen quietschten beim Anfahren, vierzig Meter Maximalbeschleunigung die Stichstraße dahin, dann das Stopschild, heftig gebremst stopte der Wagen, STOP . Thewe fuhr weiter, der Wagen gehorchte, das Auto tat, wie er wollte, »sehr gut«, dachte er, ganz er selbst, der Herr seiner eigenen Welt.

XI
    Thewe stopte, bog nach rechts ab und rollte langsam die Carl-von-Assperg-Straße entlang, die um das Firmengelände in einem weiten Oval herumging, Lagerhalle, Wäldchen, Leercontainer, alte Druckerei, Verwaltung, neue Druckerei, überall brannte Licht, auf schmutzig aufgeweichten Wegen waren die Leute in ihrer Mittagspause zwischen den Gebäuden unterwegs, viele mit Regenschirm, und das Pfützenwasser am Straßenrand spritzte hoch in die Luft über dem Gehweg, wenn ein Wagen zu schnell die Straße entlangfuhr. Thewe umkurvte die Pfützen, machte vor der Ausfahrt zur Pforte einen U -Turn und fuhr wieder zurück, direkt zur alten Lagerhalle. Die alte Lagerhalle war ein asbestverseuchter Flachbau, der in den ersten Asspergjahren leergestanden hatte, Mitte der 90 er Jahre grundsaniert worden war und seit Holtrops Amtsantritt in ein integriertes Mitarbeitercenter umgebaut werden sollte. Jetzt war Giftwasser in der Umgebung des Gebäudes gefunden worden, Schwermetalle aus alten Vorkriegsbeständen waren dort ins Erdreich unter der Halle eingebracht worden, wann genau und von wem, wurde noch untersucht, unklar war auch, ob eine Sanierung des Gebäudes überhaupt noch möglich war. Planen schlackerten um das Gerüst, das um die Halle herum aufgestellt war, auch der Bauzaun davor wackelte im Wind. Thewe ließ den Wagen am Straßenrand stehen und ging in die Halle hinein.
    Es war dunkel, die Luft war feucht, nach hinten zu wurde der Raum weiter und heller. Am Boden lagen Kabel und Bastrollen, auch ein Strick, ein längeres Stück Seil, das sich zwischen den Kabeln und Rollen dahinschlängelte und von irgendwem hier zurückgelassen worden war, daneben waren Ziegel aufgeschichtet. Thewe blieb stehen. Er schaute auf das am Boden unbewegt daliegende Seil, das er deutlich erkennen konnte. Als Thewe in die Hocke ging, um diesen Gegenstand, der sich ihm beim Hinschauen zu der plötzlich möglichen Tat STRICK verzerrt hatte, aufzuheben, hörte er Schritte, richtete sich auf, und bevor er sich umdrehen konnte, sagte jemand: »Was machen

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