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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Aufzug ging, um in sein Büro hochzufahren. Während Thewe unterwegs im Treppenhaus nach unten war, meldete sich Wenningrode und sagte: »Sie wollten mich sprechen?« Thewe blieb im Zwischenstock am Fenster stehen, schaute nach draußen und antwortete: »Ich brauche Ihren Rat.« »Haben Sie schon unterschrieben?« »Nein.« »Können Sie morgen kommen?« »Sehr gern.« »Am besten direkt zu der Eröffnung.« »Danke.« »Bis morgen.« Thewe legte auf. Wahrscheinlich war es Unsinn, Wenningrode einzuschalten. Anstatt morgen nach Schönhausen zu fahren, sollte er sich, dachte Thewe, lieber zuhause ins Bett legen und ein paar Wochen schlafen. Die Vorstellung von Schlaf, der möglichst lange dauern sollte, erfüllte Thewe. In der verregneten Glasscheibe, vor der er stand, sah er, was ihn in dem Moment irritierte, die Spiegelung seines Gesichts. Der Bunker dahinter war mit Lichtern erleuchtet, die schmalen Fenster darin elektrisch erhellt. Noch weiter dahinter schwankten die hohen Bäume im Wind.
    Früher hatte Thewe mit Holtrop gut zusammengearbeitet. Silvester 1992 waren sie gemeinsam mit allen Kollegen auf dem Dach des Bunkers gestanden und hatten die Übernahme des Neustandorts Krölpa gefeiert. Ein völlig neues Assperg würde hier in den leeren Weiten des Ostens unter ihrer gemeinsamen Führung entstehen. Sie waren Pioniere, beide froh, aus Schönhausen, dem Knast der Biederkeit, weggekommen zu sein. Zwar war der alte Assperg damals noch nicht so verknöchert wie inzwischen, aber täglich in der Kantine oder auf dem Firmengelände in das strengePatriarchengesicht des alten Assperg hineinschauen zu müssen, machte die Leute kaputt. Darüber hatten sich Holtrop und Thewe damals verständigt. Geduckte Gestalten, umso geduckter, je weiter oben sie waren, bevölkerten als Führungskräfte, Manager und Topmanager die Hauptverwaltung der Assperg AG . Grauenhausen wurde der Ort des gemäßigt mittelmäßigen Grauens und der grau geduckten Gestalten von den dort inhaftierten Asspergianern genannt. Thewe hatte sich damals sofort eine Wohnung in Berlin genommen. In den Ruinen des alten Ostteils der Stadt war ein Leben, wurde überall zumindest gesagt, wie in den legendären 20 er Jahren, und nachts, in den Lokalen, die an jeder Ecke aufgemacht hatten, war Thewe glücklich, weil er überhaupt und ganz allgemein in dieser glücklichen Zeit der 90 er Jahre glücklich gewesen war.
    All das änderte sich, als Holtrop 1998 unerwartet plötzlich die Karriereleiter hochgestolpert und zum Asspergvorstandsvorsitzenden berufen worden war. Die Veränderung in Holtrop ging rasend schnell vor sich. Demonstrativ schroff wendete er sich von Thewe ab. Vom blitzhaften Aufstieg beglückt, drehte Holtrop sich im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Person seines Ichs. Immer gieriger wurde er nach diesem Licht, immer eitler, immer hysterischer und strahlender trat er auf. Thewe beobachtete die Veränderung an Holtrop auch mit Erleichterung. Er hatte den jungen Holtrop bewundert. Jetzt war er froh, dass ihm selbst ein solcher Sprung an die Spitze, was vor seinem Wechsel nach Krölpa durchaus in Reichweite gewesen wäre, erspart geblieben war. Für diesen Job musste man wirklich gemacht sein. Am besten war man genau ein solcher OCHSE , wie Brosse einer war, der entthronte und gegen seinen Willen, nur weil er die Altersgrenze erreicht hatte, aus dem operativen Geschäft verbannte und an dieAufsichtsratsspitze abgeschobene Vorgänger von Holtrop. Thewe wäre in Holtrops Position kaputtgegangen. Aber auch Holtrop hatte nicht die nötige Statur für den Job ganz oben. Er war begabt, talentiert, aber charakterlich auf die allermittelmäßigste Weise unausgereift. Selbstverständlich konfrontierte Thewe Holtrop nicht mit diesem Befund, obwohl er manchmal dachte, dass der Rat eines alten Freundes für Holtrop nützlich hätte sein können. Aber von den alten Freunden wollte Holtrop nichts mehr wissen, das machte er Thewe überdeutlich klar, er hatte auch Angst vor Thewe. Thewe hatte für Holtrop Vergangenheitskrätze, von seiner Vergangenheit wollte Holtrop weg, die Zeugen des Aufstiegs beseitigen, gerade die aus großer einstiger Nähe, um endgültig absolut, auch von der Vergangenheit seines Aufstieg befreit, herrschen zu können. Es war krank, das wusste Thewe, aber es war auch komplett normal, sie waren eben alle Angestellte, dachte Thewe, während er die Treppe nach unten ging, gebückt, entkernt, kaputt.
    Holtrop hatte sofort umgeschaltet,

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