Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Nachmittag im Auto mit nach Berlin genommen hatte, Leffers rief bei Barbarella Escort an, bestellte eine Lady, und so saßen die beiden Männer kurz darauf mit zwei Frauen bei Rotwein und Zigarre auf den besten Seitenplätzen in der PARIS BAR und unterhielten sich, zunehmend animiert, von irgendeiner Kleinigkeit wie der Marke der Bluse von Frau Barbarella etwa, über alles mögliche, das zunehmend und immer allgemeinere Allgemeine, die große Linie, die grundsätzlichen Fragen, Politik, Ästhetik, Geschäft, Kir Royal. Leffers übernahm es, außerdem auch das von ihm so genannte Fräulein Zegna höflich ein bisschen zu befragen und ihr so Gelegenheit zu geben, beim Antworten für alle am Tisch zu leuchten, aber meistens redete natürlich Holtrop, so war das vom Machtgefälle her in dieser Viererrunde vorgegeben, über sich und andere, über seine Ideen, sein Denken, seine Erfahrungen und die Visionen natürlich vorallem der von ihm herbeierdachten kommenden besseren Welt. Ein irres Geplapper, das sich so wirr dahergeplappert anhörte, als habe Holtrop Angst, von den von ihm so Zugequatschten wirklich verstanden zu werden.
XXVI
»Wissen Sie«, sagte Holtrop, »ich denke immer in Möglichkeiten, was ist, ist«, rief er aus, »das langweilt mich!« Der Realismus sei ja keine Form der Welterfassung, gerade für die Wirtschaft nicht. »Wir werden alle Utopiker sein oder gar nicht«, es gehe um Phantasie und Emotionen, das treibe die Wirtschaft voran, dem gelte sein Denken als Unternehmer: Wie sollte die Welt ausschauen? In welcher Welt will man leben? Fräulein Zegna schaute sich in der Paris Bar um, sie war hier noch nie gewesen, sie war erstaunt von Holtrop, so wie er das erklärte, hatte sie die Wirtschaft noch nie gesehen. Es gehe um Weltentwürfe, sagte Holtrop, nicht um Geld oder Bilanzen, nicht um Fachidiotie, so sei der Kapitalismus früher einmal gemeint gewesen, zu dieser Radikalität müsse die Wirtschaft zurückfinden, gerade jetzt in der Krise. Fräulein Zegna merkte, dass Holtrop in Angeberstimmung war, und fragte, mit leicht bösartigem Hintergedanken, genauer nach, wie er seine vielen Arbeitsaufgaben alle bewältige, und Holtrop antwortete wirklich genauso angeberhaft wie erwartet. Er schlafe wenig und arbeite eigentlich immer, wenn er wach sei, auch schreibe er sofort alles auf, was wichtig sei. »Jeden Tag?« »Natürlich, immer.« Auch heute Morgen sei er schon ganz früh, um fünf Uhr, aufgestanden und habe zwischen sechs und acht, im Auto unterwegs, »ganz gut was weggemacht«. Fräulein Zegna nickte, aber Holtrop war zu sehr in Fahrt, um die Reserve zu bemerken, instinktiv lehnte er sich nach vorn, weil sie sich zurückgelehnt hatte, legte noch einmal nach, um ihre Zustimmung wiederzugewinnen. Zwischen Unternehmern und Künstlern gebe es eine Verwandtschaft des Geistes, das Experimentelle des Weltzugangs, die schöpferische Zerstörung, Schumpeter etc. Dieses Element des Künstlerischen habe ihn immer schon angezogen, obwohl er später durch seine Beschäftigung mit der Kunst bemerkt habe, dass es mit der Radikalität der Kunst auch gar nicht so weit her sei, wie er sich das in seiner Jugend vorgestellt hatte. Dann habe er die Radikalität in der Welt der Wirtschaft gesucht und gefunden, habe alle Energien darauf geworfen, sich diese Welt zu erobern, aber im Inneren seiner Träume sei er immer auch Schriftsteller geblieben, Fontane und Thomas Mann, die heute als Realistenunterschätzt seien, seien seine Lieblingsautoren, von daher komme auch die erwähnte Gewohnheit, Gedanken schriftlich festzuhalten, nur für sich, wobei er diese Notate ganz altmodisch mit Füller auf Papier aufgeschrieben verfasse, was niemand von ihm denken würde, aber so widersprüchlich sei er eben, »so ist der Mensch!« rief Holtrop aus, einerseits die Umarmung der neuesten Technologie und deren maximale Monetarisierung, andererseits die Freude an den Dingen der Kontemplation, am Buch, am Lesen, am Nachdenken und Schreiben, das seien die verschiedenen, widersprüchlichen, vielgestaltigen Pole seiner Persönlichkeit, und, fügte er im Gestus der Empörung hinzu, er sei auch nicht dazu bereit, auf irgendetwas davon zu verzichten. »Wieso auch!?« rief er aus, freute sich und hob sein Glas. Der Wein war aus. Holtrop ließ noch eine Flasche kommen, »das ist übrigens der Brenzinger Lafitte Spider«, sagte Holtrop, »mein absoluter Lieblingswein, auch noch Jahrgang 98 , können Sie das schmecken, Fräulein Zegna, die Tiefe
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