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Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)

Titel: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainald Goetz
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Situationen.
    Der Hubschrauber kam herangeknattert, pünktlich um zehn Uhr dreißig. Holtrop ging nach draußen und stieg mit den anderen Asspergvorständen zusammen ein, wobei er sich bemühte, die Leute vor und neben sich so gut es ging zu ignorieren. Der halbe Vorstand machte sich auf die Reise nach Berlin zu der Beerdigung von Thewe. Auf dem Flug nach Hamm schaute Holtrop zuerst wütend auf denBoden, das Teppichimitat des Miethubschraubers widerte ihn an, er saß rechts hinten, schaute dann nach draußen, wenige Minuten später waren sie schon da, Schönhausen Hamm: fünfzehn Minuten. In Hamm stand der Firmenjet, eine Challenger 605 , bereit, hier war wenigstens genügend Platz, das Flugzeug startete, und die Asspergvorstände hatten ihre Geschäftsunterlagen in der Hand, jeder studierte seine Papiere. Jetzt war es die Emsigkeit der Kollegen, die Holtrop störte, und er hatte, anstatt selber auch Akten durchzuarbeiten, provokativ und riesengroß die Deutsche Allgemeine aufgefaltet und die Zeitung dann knallend Seite für Seite durchgeblättert, als wäre alles, die Meldungen, die Zeitung, die Weltlage, Seite für Seite eine einzige Frechheit. Worin genau diese Frechheit bestand, war der Provokationsdemonstration Holtrops nicht zu entnehmen. Die Hauptfrechheit bestand für ihn letztlich im unbeschreiblichen Stumpfsinn seiner Kollegen, in der todtraurigen Biederkeit dieser Volltrottel, mit denen er, ER !, er selbst, hier auf engstem Raum im Asspergjet, überstark den Sinnen fühlbar: zusammengepfercht war, wie in der Wirklichkeit der Organisation im Vorstand. »Es war ein Fehler«, dachte Holtrop, »nicht gleich frühmorgens in aller Ruhe alleine vorzufliegen.«
    In Berlin ließ sich Holtrop zuerst ins Adlon fahren, dort war er mit Leffers verabredet. Die Anfahrt war schwierig, weil in der Mitte der Stadt die Straße Unter den Linden wegen einer Demonstration gesperrt war, die Demonstration war dann der Bonner Karnevalszug, dessen Berliner Abordnung hier mit Tröten und Musik um die Kurve beim Starbuckscafé zog, als Holtrop dort ankam, es war absurderweise Faschingsdienstag. Vor dem Adlon kam ein uniformierter Portier auf Holtrop zu und machte ihm die Türe auf. »Die Narren sind los«, sagte Holtrop zu Leffers und setzte sich zu ihm an den Tisch. »Warten Sie schonlange?« »Nein«, antwortete Leffers, von Holtrops immer gleichem Witz nur schwach amüsiert. Holtrop bestellte eine heiße Schokolade und ein Stück Zitronensahnetorte, Leffers rauchte, trank Kaffee. Sie redeten über Krölpa, die Stimmung war schlecht, nichts Neues also von dort, Holtrop wollte es gar nicht hören, Leffers kaum noch erzählen.
    Kurz vor zwei Uhr versammelte sich die Trauergesellschaft vor der Abfertigungshalle des riesigen Krematoriums Nord. Das Krematorium Nord war genau genommen im Nordosten, im früheren Osten der Stadt gelegen. Der Taxifahrer wiederholte die ihm genannte Adresse und war dann kommentarlos eine Holtrop unbekannte, endlos lange, leere weite Ausfallstraße aus Berlin hinausgefahren, und hinter Baumärkten, Schrotthandel, Gartencenter und Lagerhallen sah man endlich die hochmoderne Betonruine, die ein angesehener Sakralarchitekt, dessen Name, den Leffers erwähnte, Holtrop sofort wieder vergessen hatte, weil er sich für Sakralarchitektur und letzte Entwicklungen im Krematoriumsneubau im Moment gerade nicht so brennend, »ha ha ha!«, interessierte, im Auftrag der Stadt entworfen und im Jahr 2001 neu erbaut hatte, spitz, schroff, kalt und abweisend, »willkommen, Toter, auf der letzten Reise«, höhnte der scheußliche Bau. »Schön geworden«, sagte Holtrop genauso höhnisch, bezahlte das Taxi, war ausgestiegen und schaute sich um zu Leffers, der in seinem Mantel dastand.
    Sie gingen über die betonierte, endlos riesenhafte Fläche auf den sich Schritt um Schritt immer noch weiter entfernenden Bau der Hauptverbrennungshalle und auf die davor am Boden als kleine schwarze Figuren, Punkte, beweglich positionierten, offensichtlich noch lebenden Mitmenschen zu. »Ein gutes Gefühl«, dachte Holtrop. Er hatte nichts dagegen, auf Beerdigungen zu gehen, man stellt sichhin, bewegt sich wenig, schaut ernst und schaut dabei gut aus. Der Staatsschauspieler Holtrop, der nach Holtrops Ansicht sowieso zu selten im Einsatz war, war gefordert, kein Problem. Langsam wurden die vor der nackten, grau verschlierten Betonwand der Halle stehenden Asspergianer als Einzelgestalten erkennbar.
    Im Näherkommen spürte Holtrop etwas, was ihm

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