Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
Dröhnen, Witzeln, dumme Sprüche Reißen, bellend Lachen usw. Zuletzt gingen Pia Holtrop und Salger, miteinander im Gespräch, den Gehweg hoch. Zum Fernbleiben von Holtrop äußerte sich Kate Assperg verärgert mit der Bemerkung: »Er hat es ja wohl nicht mehr nötig.« Schnur nickte wieder zustimmend, weil er wusste, dass es sinnlos war, sie auf Holtrops aktuelle Asienreise hinzuweisen. Und sie sagte, wobei sie sich vom Fenster ab- und in den Raum hineinwendete: »Meint er.« Dann ging sie noch für einige Minuten ins Bad, um die Gäste keinesfalls zu kurz warten zu lassen. »Geh du schon mal runter!«, sagte sie im Hinausgehen zu Schnur, »ich komme gleich.«
Kate Assperg war als junge Frau sehr gutaussehend gewesen. Das Theater der Männer um sie herum hatte sie mit scharfem Intellekt beobachtet. Aber weil an der Seelenstelle bei ihr Leere war, hatte die Erfahrung der Macht, die durch jede ihrer Willkürbewegungen gegenüber einem Mann, jedes Verstoßen oder Erhören, in ihr vermehrt worden war, sie nicht erstaunt, verwirrt, vertieft und ernst gemacht, sondern im Gegenteil hart und stolz und dabei unschön triumphalisiert. Schon mit achtzehn bediente sie die Mechanik der von ihr gesteuerten Sozialspiele perfekt, zog einen vergifteten Genuss aus dieser Mechanizität und Perfektion, und es amüsierte sie, wie leicht sie selbst dabei war und sich fühlte, wie hell und herrscherlich, wie böse und freiwillig dumm. All das wusste sie. Und genau so wollte sie sein, und so sollte es sein: Leben ohne Liebe, Glück. Nur eines wusste sie noch nicht, wie weit sie es damit bringen konnte. Das war das Projekt ihres Aufstiegs: Wie weit würde sie es bringen, wie hoch hinaus könnte sie auf diese Art kommen? Dem Experiment, dies zu ermitteln, hatte sie ihr Leben gewidmet. Als Herrin von Redecke bei Schönhausen hielt sie jetzt Hof, vorerst, die Ehefrau des Besitzers der Assperg AG . Aber das Ende war das nach ihrer Überzeugung noch nicht. Sie war sechzig, sie war jung, sie fühlte sich gut. Offen lag die Zukunft vor ihr.
Die meisten Gäste waren dann angekommen, und Kate Assperg ging hinaus. Sie stand kurz an der Balustrade des Innenbalkons und schaute nach unten, etwa vierzig, fünfzig Leute hatten sich versammelt. Mit langsamen Schritten kam sie die Freitreppe, die in die Mitte des Saals führte, nach unten geschwebt. Als sie auf halber Höhe stehengeblieben war, war es unter den Gästen schon leiser geworden, und Schnur klopfte an sein Glas, dann wurde applaudiert. Kate Assperg lächelte spöttisch, sie hatte ein fuchsrotes Kleid an. »Bitte!« sagte sie und wehrte den Applaus ab. Dann begrüßte sie die Gäste und wünschte unterhaltsame Stunden, »ganz besonders freue ich mich«, sagte sie zum Schluss, »dass wir einen jungen Mann heute zum ersten Mal unter uns haben, das Finanzgenie Mathias Salger, der mit seiner Firma im Januar zu uns gekommen ist und jetzt in unserer großen Asspergfamilie mit dabei ist und hier mitmacht, herzlich willkommen, Herr Salger!«Salger hatte sich gestrafft und nahm die unerwartet herausgehobene Exposition, auf die ihn niemand vorbereitet hatte, mit Missbehagen hin, aber natürlich gefasst. Die älteren Asspergianer kannten das Spiel. Vom Fuß der Freitreppe aus befahl Kate Assperg mit der lockenden Bewegung des Zeigefingers der rechten Hand, die sie vor ihr Gesicht in seine Richtung gehaltenen hatte, Salger zu sich her wie einen kleinen Jungen. Diese Geste war natürlich ironisch gemeint, das machte sie, als er auf sie zuging, mit einem aufflammenden Blick, der »brav so!« sagte, deutlich. Das starre Lächeln ihres Mundes zeigte dabei kein mitbeteiligtes Gefühl.
Dann stellte sie Salger, den zwar Holtrop, nicht sie, eingestellt hatte, im Kreis der sie umstehenden mittleren Asspergchefs trotzdem und noch einmal als ihre eigene neueste Trophäe vor. Wie klug, wie jung, wie abenteuerlich erfolgreich er schon gewesen sei, immer wieder forderte sie ihn auf, den Älteren von den bisherigen Stationen seiner beruflichen Laufbahn zu erzählen, und nachdem sie diese viel weniger erfolgreicheren Älteren auf die Art genügend erniedrigt hatte, warf sie ihnen Salger zum Fraß vor. Ging einfach weg, lächelnd wie immer. Aber Salger war noch zu wenig Apparatschik, um den Spott der Älteren, mit dem er nun gepiesackt und aufgespießt wurde, wirklich ernst zu nehmen. Er sah diese Älteren, die ihn lärmend mit ihren Witzen in die Luft zu schießen und zu zerreißen versuchten, kaum, alte Säcke waren
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